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Neuseeland: Langsam leben

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Mai 2016

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Ich wache vom plätschern des Sees auf und öffne meine Augen. Tageslicht strahlt in mein Zelt und durch den halboffenen Eingang kann ich das türkisblaue Wasser des Pukakisees sehen. Mount Aoraki ist hinter dicken Wolken verborgen, der klare Sternenhimmel der letzten Nacht verblasst. Ich krieche aus meinem Schlafsack in warme Kleidung und dann aus dem Zelt. Kaffee aufsetzen ist das erste was ich mache und dann setze ich mich einfach auf einen Stein und schaue. Auf den See, den Himmel, um mich herum und in mich hinein. Es ist so friedlich hier und ich mag es den Tag langsam zu beginnen. Der Kaffee brodelt stark und dampfend im Espresso kocher den ich von Freunden in Australien bekommen habe. Beinahe hätte ich ihn aussortiert im Versuch mein Gepäck für den Flug zu reduzieren, doch das wäre eine dumme Idee gewesen. Der Kaffee wärmt mich und macht mich endgültig wach. Ein neuer Tag hat begonnen.

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Heute werde ich den Alps2Ocean Radweg starten. Über rund 300km führt er von den schneebedeckten Gipfeln der southern alps bis hinunter ans Meer, meistens offroad und oft durch die Natur. Um zum offiziellen Starpunkt zu kommen ist ein Helikopterflug über den Tasman Fluss nötig, doch das ist nur für Leute mit zu viel Geld. Ich begnüge mich damit 20 km südlicher zu starten und hatte eine wundervolle Anreise per Fahrrad vom nahegelegenen Tekapo See.

 

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Der Radweg ist gut markiert und einfach zu fahren. Um diese Jahreszeit sind kaum andere Radler unterwegs, nur der gelegentliche Mountainbiker auf seiner Runde. Ich lasse mir Zeit, mache viele Pausen an den schönsten Orten und suche mir immer einen Zeltplatz solange es noch hell ist.

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Es ist Spätherbst, die Kälte des nahenden Winter ist besonders nachts deutlich zu spüren doch die Tage sind sonnig und warm. Ohne ein festes Ziel und einen zeitlichen Rahmen lasse ich mich treiben, radel soweit wie ich mag und schlage mein Lager auf wo es mir bequemt. Ich bin ein Nomade und transportiere alle meine Habseligkeiten mit mir. Ich lebe nach dem Rhythmus der Natur und bewege mich auf alten Pfaden abseits von Straßen und Siedlungen. Es ist ein einfaches Leben und einfache Dinge machen mich glücklich. Der Kaffee am morgen, gefundene und im Feuer geröstete Esskastanien, selbst gemachtes Apfelmus, ein warmer und trockener Schlafplatz, eine heiße Dusche, der Regenbogen der immer irgendwo aufleuchtet, der Sternenhimmel, die Natur, die Stille.

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Zeit ist nicht so wichtig, ich brauche mich nicht zu beeilen. Niemand wartet auf mich, ich muss nirgends ankommen, nichts erledigen. Ich bin frei.

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In meinem Leben in Deutschland war es anders. Wie die meisten Menschen hatte ich viele Verpflichtungen, Arbeit, einen strukturierten Tagesablauf und wie die meisten Menschen nahm ich mir nie Zeit einfach mal still zu sein. Sich einfach mal hinzusetzen und nichts tun. Zeit um sich umzuschauen, die Umgebung wahrnehmen, zu riechen, zu hören, zu fühlen. Oder sogar die Augen zu schliessen und den Gedanken freien Lauf lassen, den Atem spüren, zu meditieren. Seien es nur fünf Minuten stilles sitzen jeden Tag, schon diese kurze Zeit der Ruhe kann viel Veränderungen in einem Leben bringen. Mehr Gelassenheit, mehr Ruhe, weniger Stress. Sich die Zeit nehmen langsam zu leben und in der Gegenwart.

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Ich fühle mich wohl allein in der Natur und verstehe mehr und mehr was ich von einem Aborigine in Australien hörte: “Das Land gehört nicht den Menschen, wir Menschen gehören dem Land”. Wir sind Teil der Natur und nicht etwa ein separates Objekt, wir sind verbunden und nur ein kleiner Teil des Phänomens Leben.

 

Eine Nacht lerne ich die Kraft des Windes kennen. Ich habe mein Zelt an einem Steinstrand aufgeschlagen, unter Bäumen deren Form mir zwar aufgefallen war aber ich hatte mir nichts weiter dabei gedacht. Ich koche mein Abendessen und als es anfängt zu dämmern entfache ich ein Feuer. Mit der hereinbrechenden Dunkelheit kommt ein Wind auf, welcher stetig stärker wird. Die Flammen fressen sich durch die trockenen Äste vom Strand, schon bald fliegen Glutstücke durch die Luft und ich muss mein Zelt fest binden, da die Heringe zwischen den Steinen keinen Halt finden. Der Wind kommt herab von den Bergen über den See und bringt weder Wolken noch Regen sondern nur warme Luft.

ls_small26 ls_small25 Mein Zelt und ich sind wind erprobt doch diese Nacht ist extrem. Da die Heringe nicht halten benutze ich meine Taschen und große Steine um das Zelt abzuspannen. Trotzdem flattert es die ganze Nacht und ich habe ernsthafte Sorgen dass es diesen Sturm nicht übersteht.

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Die Innenwände sind eingebeult und lassen nicht viel Platz im Zelt, die Geräusche lassen mich nicht gut schlafen. Am nächsten morgen ist der Spuk vorbei, mit der Sonne geht der Wind, doch meine Zeltstangen sind von dem anhaltenden Druck verbogen und schief doch das Zelt hat gehalten. Ich denke das war meine windigste Nacht auf dieser Reise.

Nach ein paar Tagen auf dem Alps to Ocean Radweg, bevor ich den Ozean erreiche, entscheide ich mich eine Schotterpiste über einen Pass zu fahren um zu dem nächsten Radweg zu gelangen, dem Otago Central Rail Trail. Er folgt einer alten Bahnlinie durchs Landesinnere.

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