New Zealand

Neuseeland: Der Winter kommt

Mai 2016

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Der Winter kommt. Ich sehe es an dem Schnee auf den Bergen und rieche es in der Luft. Und natürlich fühle ich die Kälte. Besonders in den Fingern und Zehen. Trotz zwei paar dicker Socken und Handschuhe kriecht die Kälte in meinen Körper und zwingt mich dazu mich zu bewegen. Ich reibe meine Hände und laufe auf und ab während ich darauf warte dass das Kaffeewasser kocht. qt_small04

Die Szenerie ist atemberaubend und lenkt mich von meinen kalten Gedanken ab. Letzte Nacht habe ich mein Zelt am Ufer des Mavora Sees aufgebaut, die umgebenden Berge spiegeln sich im klaren Wasser und Nebel wartet darauf von der wärmenden Sonne aufgelöst zu werden. Doch noch versteckt sich der heiße Feuerball hinter den Bergen und lässt nur eine Bergspitze orange glühen.

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Alles was ich um mich herum sehe, die Berge, der See, der Wald, war gefühlt schon immer hier und wird auch immer hier sein. In Menschenzeit gemessen zumindest. Alles ist natürlich, nichts von Menschenhand gemacht, außer dieses kleine Zelt am Seeufer, mit dem Rad daneben und dem kleinen ehrfürchtig und frierenden Menschlein.

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Nach dem Kaffee und ein paar Haferflocken als Frühstück packe ich meine Sachen und schiebe mein Rad zur Straße zurück. Der Schotter ist gefroren und das macht es angenehm zu fahren, meine Reifen rutschen nicht soviel weg.

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Sobald die Sonne raus kommt wird es warm, doch der Schnee zeigt deutlich an, dass die Wärme auf der Haut trügerisch ist. Die Straße die ich fahre führt zum Lake Wakatipu und ein Schild am Straßenrand zeigt an dass ich nun auf privatem Land der Mt Nicholas Station bin. Ein paar neugierige Kühe verwechseln mich mit dem Farmer und kommen, wahrscheinlich in der Hoffnung auf Futter, angelaufen sobald sie mich sehen. Außer dem Schild (und den Kühen) deutet nichts auf eine Farm hin, die Berglandschaft ist die selbe, und es wird bis zum Nachmittag dauern bis ich die eigentlichen Farmgebäude erreiche.

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Die Mt Nicolas Station hat einen Landbesitz von 400 km², das entspricht der Fläche der Stadt Köln und ich wunder mich wie Menschen so ein großes Stück Land besitzen können.

Was wäre wenn ich an meinem Zeltplatz der letzten Nacht, am Mavora See, ein Schild aufstelle und einen Zaun baue und sage dass ist jetzt meins. Privatbesitz! Camping verboten! Feuer verboten! Frei sein verboten! Nein ich würde wahrscheinlich ganz andere Regeln machen auf “meinem” Stück Land, doch es fühlt sich falsch an für mich, denn ich sehe es eher so dass das Land uns Menschen besitzt und nicht wir Menschen das Land.

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The Spirit of Queenstown

Nach einer kleinen Flussüberquerung und mit einem nassen Schuh erreiche ich am Nachmittag die Farm, welche mittlerweile nicht nur durch Merinoschafe und Kühe sein Geld macht sondern mit Touristentouren aus dem nahegelegenen Queenstown. Jeden Tag kommen Touristenboote, die Touristen steigen um in einen Bus und werden über die Farm gefahren. Eines dieser Boote ist es welches mich über den See nach Queenstown bringt. Es heißt passenderweise “Spirit of Queenstown” und ist ein modernes Ausflugsboot voll von asiatischen Touristen welche im überheiztem Innenraum bei Kaffee und Kuchen durch saubere Panoramaglasscheiben die vorbeiziehende Landschaft betrachten und der Stimme des Kapitän lauschen. “Willkommen an Bord, zur rechten Seite sehen Sie die Remarkables Berge, zu Ihrer linken…”

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Ich fühle mich nicht so wohl hier. Die letzten Tage habe ich fast alleine nur in der Natur verbracht, dem Wetter getrotzt und meine schwindenden einfachen Essensvorräte gegessen. Und jetzt bin ich unter Leuten welche viel Geld für diese Bootstour bezahlt haben, für die “real kiwi farm experience”. Welche heute Abend zurück in ihr komfortables Hotel zurückkehren und den Eindruck haben das echte Neuseeland gesehen zu haben.
Wenn ich an die letzten Tage denke weiß ich, manche Erfahrungen kann man nicht für Geld kaufen.

Die Spirit of Queenstown bringt mich nichtsdestotrotz ans andere Ufer nach Queenstown, wo ich als erstes einen Bankautomaten aufsuche um das Fährticket im Nachhinein zu bezahlen, die halbstündige Überfahrt kostet 30 Dollar.

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Queenstown ist das Touristenzentrum auf der Südinsel. Die gerade mal 20.000 Einwohner werden jedes Jahr von knapp 3 Millionen Touristen besucht, die ganze Stadt ist darauf ausgelegt. Für mich kein besonders interessanter Ort, nur die Supermärkte, Internet und eine heiße Dusche stehen auf meiner To-Do-Liste. Ich konnte keinen Couchsurfing Host finden, ein paar der aktiven Couchsurfer akzeptieren nur weibliche Gäste, welches mich ihre wahren Absichten hinterfragen lässt. Was für eine Gastfreundschaft ist es wenn sie nicht für jeden gilt sondern nur für Frauen, den Referenzen auf den Profilseiten nach besonders für junge Backpackerinnen?

Ich frage bei ein paar Hostels ob ich nicht mein Zelt auf dem Parkplatz aufschlagen könnte, so in den Genuss einer heißen Dusche komme und weniger bezahle als die 30 Dollar pro Nacht für einen geteilten Raum mit bis zu 8 anderen Menschen. Doch ohne Erfolg, ich bekomme nur mitleidige und verständnislose Blicke wenn ich erkläre ich kann oder möchte nicht so viel für Unterkunft bezahlen. Auch ein Schild an meinem Rad “Need place to stay – will cook for you!” (Brauche Schlafplatz – werde kochen) ruft keinerlei Reaktionen oder gar Einladungen hervor. Nur eine alte Dame bleibt stehen und fragt “Any luck?” ( Als ich verneine sagt sie “Boy, this is Queenstown, everything has it´s price here”. (Junge, hier in Queenstown hat alles einen Preis). Und das selbe Gefühl habe ich auch. Die berühmte Kiwi Hospitality, Gastfreundschaft, mit der soviel Werbung gemacht wird, findet man hier nur wenn man für etwas bezahlt.

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Ich verdränge meine Gedanken an eine heiße Dusche erst mal und radel etwas aus der Stadt heraus. Es ist nicht schwierig einen einsamen Platz für mein Zelt am Fluss zu finden und ich bin zufrieden damit. Letztendlich ist es ja meine freie Entscheidung nicht für ein Bett zu bezahlen, Geld hätte ich schon.

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Am nächsten Tag radel ich noch einmal nach Queenstown hinein und lade meine Batterien an einer öffentlichen Steckdose im botanischen Garten. In der Stadt selber treffe ich Lisa. Bei ihr bin ich vor ein paar Nächten über Couchsurfing untergekommen. Sie hatte bei Lumsden auf einer Milchfarm gearbeitet und möchte nun in Queenstown ein paar ihrer Habseligkeiten loswerden um ihre nächste Reise zu beginnen. Ich helfe ihr einen kleinen Stand aufzubauen und wir malen ein großes Schild “For Donations”, gegen Spende. Lisa hat jede Menge Walnüsse im Angebot, selbst gemachte Marmelade und Holundersaft, sowie ein paar Bücher und anderen Kram. Doch die meisten Leute schenken dem Stand keine Beachtung und lehnen sogar gratis Walnüsse zum probieren ab. Nur ein kleiner Junge freut sich über ein Marmeladenglas welches er für 20 Cent erwirbt.

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Die Idee, für etwas keinen festen Preis zu bezahlen sondern soviel oder so wenig wie man will, ist für viele Menschen fremd. Natürlich ist die Antwort auf die Frage “Möchte ich diesen Preis bezahlen, ist es das wert?” einfacher als “Wie viel möchte ich bezahlen, was ist es mir wert?” Bei manchen Leuten habe ich den Eindruck sie denken weil etwas kostenlos ist ist es nicht gut.

Lisa tut mir ein wenig Leid, es ist nicht der beste Ort für so ein rebellisches Preis- und Wertkonzept. Am Ende wird sie die meisten Sachen verschenken, was sich auch als gar nicht so einfach heraus stellt.

Ich setze meine Reise fort und muss nun die Berge überqueren um an die Westküste zu gelangen. Das nächste Ziel ist Wanaka und um dorthin zu gelangen gibt es zwei Straßen. Die etwas längere aber gut ausgebaute Straße durchs Tal und die direktere aber steilere Straße über die Berge. Du kannst dir sicher denken welchen Weg ich wähle.

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