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Chile: Carretera Austral – Der Regen holt mich ein

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Der Regen prasselt auf mein Zelt. Genauer gesagt auf mein Plastiktarp welches ich zum Glück darüber spannen konnte. Nun hat er mich doch noch erwischt, der berüchtigte Regen Patagoniens. Die letzten drei Wochen auf der Carretera waren angenehmerweise, und entgegen der Vorhersagen anderer Radler, weitgehend regenfrei. Nur nachts hatte der der Himmel ein paar mal seine Pforten geöffnet.

Ich habe mein Lager an einem Fluss aufgeschlagen. Am anderen Ufer liegt Hornopiren, nur zwei Radeltage von Puerto Montt entfernt, jener Stadt wo die Carretera Austral anfängt bzw. für mich enden wird. Vor vier Tagen hatte der Regen angefangen, in Chaiten, rund 150 km südlich von hier. Eine Vorhersage von 60 mm in 24 Stunden hatten mich dazu bewogen einen Tag im Zelt zu verbringen und die verbleibenden 70 km zur Fähre nach Hornopiren am nächsten, weniger regnerischen, Tag zu radeln.

Nach einer weiteren nassen Nacht, versteckt im dichten Gestrüpp des Parque Pumalin, und einer mehrstündigen Fährüberfahrt erreiche ich dann Hornopiren, den Ort an dem der Regen für einige Tage seine Tropfen fallen lässt und mich zu einem Gefangenen in meinem Zelt macht.

Die meisten meiner Anziehsachen sind mittlerweile nass oder zumindest klamm. Mein Daunenschlafsack ist am Fußende durchnässt und die Daunen haben angefangen zu klumpen, welches die Isolierfähigkeit stark reduziert. Nachts wird mein Zelt von Horden von Nacktschnecken attackiert, welche den Geruch oder die Wärme oder mich zu mögen scheinen und über den Mesh des Innenzeltes kriechen, zentimeternah an meinem Gesicht vorbei. Wie Sterne am Himmel ziehen sie ihre Bahnen und jedes mal wenn ich nachts aufwache hat sich ihre Konstellation verändert bis sie bei Tageslicht verschwunden sind, nur eine klebrige und glitzernde Schleimkruste zurücklassend.

Ergebnislos warte ich auf eine Regenpause, um in den Ort zu fahren und ein paar Vorräte zu kaufen. Die Wettervorhersage sieht mehr Regen kommen und ich denke öfters mal daran mein Lager abzubrechen und mir ein Zimmer im Ort in einer Hospedaje zu nehmen. Die Sachen trocknen. Eine heiße Dusche. Etwas mehr Komfort, Wärme und Trockenheit. Doch noch ist es ertragbar und das so „gesparte“ Geld investiere ich in Schokolade um mich bei Laune zu halten. Etwas Regen gehört halt dazu und die Wochen vorher waren fantastisch gewesen.

Zu zweit unterwegs

Ich hatte Jakob wiedergetroffen und wir waren eine Woche zusammen geradelt. Das selbe Tempo mögend, den Tag entspannt angehen lassend und Pausen machend, funktionierte es gut zwischen uns und hatte viele positive Seiten. Die Erlebnisse und Begegnungen teilen und sich darüber auszutauschen ist etwas was ich dann doch vermisse wenn ich alleine unterwegs bin.

Und auch sich mühelos unterhalten zu können. In der Muttersprache ist es doch etwas anderes, egal wie gut mein Englisch ist. Ohne zögern fließen die Worte aus meinem Mund, lang nicht benutzte Wörter entstehen auf meiner Zunge und werden mit Genuss betont. Nuancen der Bedeutung und Wortspielereien, deren ich in Englisch nicht mächtig wäre, heben unsere Unterhaltungen auf ein anderes Niveau, wo exakte Differenzierungen und Beschreibungen möglich sind. Während ich es vor einigen Jahren noch vermieden habe zu viel Deutsch zu sprechen, nehme ich heute gerne die Chance einer Unterhaltung auf Deutsch wahr.

Auch der nördliche Teil der Carretera ist beeindruckend. In Teilen mehr besiedelt, in Teilen wild und unbelassen. Die Straße ist meistens asphaltiert was das vorankommen etwas leichter macht, dennoch kosten die vielen Anstiege Kraft und lassen den Magen regelmäßig Nachschub fordern. Wir backen Brot im Feuer, bestreichen es dick mit Butter und Marmelade und stopfen unsere Münder voll mit diesen und anderen Köstlichkeiten um anschließend müde und zufrieden ins Zelt zu kriechen.

Nach einer Woche trennen sich unsere Wege, Jakob biegt in Santa Lucia nach Argentinien ab. Dieser Ort machte im Dezember Schlagzeilen als eine Schlammlawine verheerende Schäden anrichtete und mehrere Menschen in den Tod riss. Die Straße war hier die letzten Monate gesperrt und eine Fährumgehung wurde eingerichtet, nur wenige Tage zuvor wurde sie wieder für den Verkehr geöffnet. Auch vier Monate nach dem Unglück sind die Aufräumarbeiten noch in vollem Gange. Die Überreste von Häusern ragen aus der Erde, neue Strommasten werden aufgestellt und Bagger sind unermüdlich damit beschäftigt die Erdmassen abzutragen und zu verteilen. Erst als ich aus dem Ort hinaus radle wird das wahre Ausmaß ersichtlich und auch wo die Lawine überhaupt herkam. Denn Santa Lucia liegt in einer Ebene, doch einige Kilometer weiter nördlich war ein ganzer Berghang abgerutscht und hatte ein ganzes Tal unter sich begraben. Die Schlammmassen hatten sich anschließend durch einen Flusslauf ihren Weg gebahnt und waren erst mitten im Dorf zum stehen gekommen.

Drei Fische für den Radler

An einem Abend finde ich mich unter einer Brücke am Fluss zeltend wieder. Durch Fehlplanung meinerseits habe ich nur noch Reis und Linsen in meiner Essenstasche, selbst die Gewürze sind mir ausgegangen, den nächsten Ort habe ich nicht mehr erreichen können. Ich habe mich schon mit meinem einfachen Mahl arrangiert als drei Angler aus den Büschen kommen und zu ihrem Auto laufen. Sie sehen mich und winken mich herüber. „Sollten sie ein Problem damit haben dass ich hier zelte?“ sagt die zweifelnde Stimme in meinem Kopf, „Oder wollen sie mir etwa einen Fisch schenken?“ fragt die hoffnungsvolle. Meine Hoffnungen werden übertroffen als die netten Männer mir gleich drei Fische schenken, zwei Lachse und eine Forelle, dazu noch etwas Brot. Überglücklich über diese unerwartete Bereicherung meines Abendessens fange ich an Holz für ein Feuer zu sammeln um die Fische stilgerecht zuzubereiten. Wilder Patagonienlachs, frisch gefischt und über dem Feuer gegrillt, was kann es besseres geben?

Kein Vergleich zu dem Zuchtlachs aus den Aquakulturen, die in dieser Gegend das Bild der Fjorde prägen. Hier werden Fische in Käfigen herangezogen und mit Fischmehl und Antibiotika gefüttert, dessen Überreste das einstmals pristine Wasser verdrecken. Nicht für den heimischen Markt, sondern größtenteils für den Export sind diese Zuchtfische bestimmt.

Am nächsten Morgen geht es weiter, doch erste Wolken lassen den kommenden Regen schon erahnen, der schließlich zu meiner Isoliertheit im Zelt in Hornopiren führen wird. Vier Tage und Nächte verbringe ich dort bis eine bessere Wettervorhersage und auch bessere Kondition meiner Muskeln mich aufbrechen lassen, um die letzten zwei Tage der Carretera Austral unter meine Reifen zu bringen. Ich hatte mich gegen ein Hostel entschieden, doch die Möglichkeit einer heißen Dusche bei der Touristeninformation wahrgenommen. Und mir über Couchsurfing einen Gastgeber nahe Puerto Montt gesucht wo ich ein paar Tage verbringen will.

Mit dieser Aussicht radelt es sich leichter, das nächste geographische Ziel zum greifen nahe, diesen Abschnitt beendend. Die Straße führt hier oft am Meer entlang, Delfine springen aus den Fluten und große Raubvögel ziehen ihre Kreise, die Anstiege werden kleiner und das Verkehrsaufkommen größer.

Trotz der Schönheit Patagoniens bin ich doch auch froh diesen herausfordernden Abschnitt zu beenden. Die Einsamkeit und Abgeschiedenheit Patagoniens hat nicht nur tolle Seiten, es machen sich erste Anzeichen von Reisemüdigkeit und der Sehnsucht nach sozialen Kontakten bemerkbar. Und so bin ich froh dass mich Claudia in ihre gemütliche Wohnung aufnimmt und mich einige Nächte auf ihrer Couch übernachten lässt.

Wie am Anfang so am Ende – Die Luft ist raus

Bei meiner Ankunft schließt sich die Geschichte vom platten Reifen, mit dem ja die Carretera begonnen hatte. Nur einige Kilometer vor meinem Ziel, es ist schon abends, ist mein Hinterreifen platt. Ich kann das Loch nicht finden, aber ich habe ja einen Ersatzschlauch. Und zwar den, welchen ich überraschenderweise in einer Hütte gefunden hatte, neu und unbenutzt, von einem anderen Radler zurückgelassen. Der Schlauch ist schnell installiert und das Hinterrad wieder eingebaut. Nur die Luft fehlt noch und irgendwie scheint die Pumpe nicht zu funktionieren, der Schlauch füllt sich nicht sondern die Luft verschwindet einfach. Bei genauerem hinsehen stelle ich fest, dass am Ventil des Schlauches das Innenleben fehlt. Das Ventil ist nur eine leere Metallhülse und kein Ventil welches die Luft im Schlauch hält. Verärgert und frustriert und auch ein wenig ungläubig stehe ich da. Hat da ein anderer Radler etwa wissentlich diese defekten oder fehlproduzierten Schläuche zurückgelassen?

Warum habe ich nicht besser hingeschaut? Oder ist etwa dieses Innenstück herausgefallen und irgendwo in meiner Fahrradtasche? Es bringt alles nichts, es gibt nur eine Lösung, ich muss mein Fahrrad schiebend und innerlich fluchend die letzten Kilometer zu Claudias Haus befördern. Da ich meine Felge nicht beschädigen möchte, packe ich meinen Wanderrucksack voll, setzte ihn auf, und lade das restliche Gepäck aufs Vorderrad. Das platte Hinterrad anhebend und mit der anderen Hand am Lenker das Vorderrad schiebend arbeite ich mich Stück für Stück vor, immer wieder Pausen machend. Heilfroh und nassgeschwitzt komme ich schließlich bei Claudia an. Die letzte Herausforderung der Carretera Austral ist geschafft.

Da Claudia tagsüber arbeitet, habe ich mein eigenes kleines Reich. Kann mal den ganzen Tag faul vor dem Computer verbringen, auf Knopfdruck Kaffee kochen und unbeeindruckt von dem Regen und Wind da draußen mich erholen. Ich kann meine Wäsche waschen, jeden Tag duschen und Abends dann alle Vorzüge einer Küche nutzen und meine Essensträume nicht nur für mich erfüllen, sondern mit Claudia und ihren Freunden gesellige und sättigende Abende verbringen.

Abschied von Patagonien

Und bevor ich Patagonien endgültig verlasse, treffe ich noch einen Freund, Gabriel, einen Chilenen den ich vor mehr als zwei Jahren in Australien kennengelernt hatte. Wir hatten lose Kontakt gehalten und es stellt sich heraus dass er gerade hier mit seinem Auto unterwegs ist um nach einem Stückchen Land Ausschau zu halten. Ich tausche also meinen Sattel gegen den Beifahrersitz und sehe noch ein paar andere Ecken Patagoniens durch die Windschutzscheibe an mir vorbeirauschen.

Es ist eine andere Art des Nomadenlebens und anstatt stundenlangen Radelns bleibt mehr Zeit für andere Aktivitäten. Doch das herbstliche Wetter mit Regen und kalten Nächten fängt an Überhand zu nehmen und nach zwei Wochen mache mich wieder mit dem Rad auf Richtung Norden.

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