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Malaysia: Kuala Lumpur

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März/April 2104

Hatte ich schon mal erwähnt dass ich große Städte nicht mag? Trotzdem lande ich dann doch meistens in ihnen um irgendwelche Sachen zu erledigen. In Kuala Lumpur, kurz KL, möchte ich meinen Laptop und meine Kamera reparieren lassen und ein Visum für Indonesien besorgen.

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Um große Städte ohne GPS zu navigieren braucht es etwas Vorbereitung. Ich mache mir einen genauen Plan um über Nebenstraßen in die Stadt zu gelangen. Auf der Karte sieht es so einfach aus: 5 Kilometer geradeaus, dann rechts, nach 2 Kilometern links abbiegen…… in der Realität ist es immer anders und meistens geht mein Plan dann doch nicht auf. So auch diesmal: Noch bevor ich überhaupt in die Nähe des Zentrums komme, verfahre ich mich und lande dann doch auf einer Autobahn. Der Verkehr ist so schnell und dicht, dass über einen Spurwechsel erst gar nicht nachzudenken ist. Mir bleibt nichts anderes übrig als die nächste Ausfahrt zu nehmen, welche mich nur wieder auf eine andere Schnellstraße bringt.

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Autobahn ins Stadtzentrum

Ich schaffe es dann doch, heile ins Zentrum zu kommen – die berühmten Petronas Türme sind von weitem zu sehen und dienen als Orientierung.

Rita vom Warmshower Netzwerk gibt mir eine Bleibe und hilft mir in den nächsten Tagen meinen Kram zu organisieren, zeigt mir die Stadt und stellt mir andere Radler vor.

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Fahrradunfreundliches KL

KL ist gar nicht so groß. Im Großraum wohnen zwar etwa 7 Millionen Menschen, in der eigentlichen Stadt aber nur 2 Millionen. Ich bin ausschließlich mit dem Rad unterwegs und schon nach ein paar Tagen kann ich mich grob orientieren und brauche nicht mehr so oft auf den Stadtplan zu schauen.

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Doch als Radler bin ich ein Fremdkörper in dieser Stadt: Es gibt keine Infrastruktur, keine Fahrradwege, Schilder oder Stellplätze. Selbst Fußgänger sind in dem Verkehrskonzept nicht vorgesehen. Bürgersteige enden plötzlich oder existieren erst gar nicht; dasselbe gilt für Fußgängerampeln. Die Stadt ist durchzogen von einem Netz von Schnellstraßen, manche Siedlungen sind sogar nur über einen Highway zu erreichen.

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Mit meinem Rad werde ich komisch angeguckt, auch ganz ohne Gepäck. Ich werde weg gescheucht beim Warten vor Einkaufszentren in der Innenstadt und unnötig angehupt vor der Ampel. Doch ich bin nicht der einzige Radler in dieser Stadt:

Da ist zum Beispiel Jeff, der in zahllosen Stunden und unter Mithilfe vieler lokaler Radler, die erste Fahrradkarte von KL entworfen hat.

Oder Farid, der grundsätzlich nur mit dem Fahrrad unterwegs ist und das kostenlose Magazin „Crankpost“ für Radler herausgibt.

Massa Kritikal KL

Die gesamte Bandbreite der Fahrradkultur in KL kann ich dann an einem Freitag bei Massa Kritikal, einem monatlichen Ride durch die Innenstadt, bewundern. Kids mit bunten Fixie-Rädern, Mountainbiker in voller Montur mit neuen glänzenden Rädern, Menschen auf alten klapprigen Drahteseln und natürlich die Foldies, Falträder, die in Asien sehr populär sind. Mehr und mehr Menschen erkennen, es ist viel besser, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, anstatt täglich stundenlang im Stau zu stehen. Die Räder lassen sich einklappen und tragen; in einer modernen Großstadt wie KL ist das nur von Vorteil, denn das Rad geht mit in den Aufzug, ins Hochhausbüro oder in den Bus oder den Skytrain zur Überbrückung größerer Distanzen.

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Rita, mein Warmshower Host, hat auch ein Faltrad

Die wahrscheinlich einzige Gruppe von Radlern, welche nicht bei der Critical Mass KL vertreten war, sind die (illegalen) Immigranten aus Ländern wie Pakistan, Bangladesch, Myanmar und Indonesien. Sie arbeiten auf den vielen Baustellen der Stadt und haben, aus finanziellen Gründen, keine andere Möglichkeit zur Arbeit zu kommen als mit dem Rad.

 Metropole KL

KL ist eine schnell wachsende Stadt, neue luxuriöse Wohntürme, sogenannte Condos, schießen besonders in den Vororten wie Pilze aus dem Boden. Riesige Shoppingcenter werden gebaut um die Konsumlust der reicher werdenden und wachsenden Bevölkerung zu befriedigen.

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KLCC, eines der größten Einkaufszentren in KL

Die Skyline wird überragt von den beeindruckenden Petronas Towern und dem Menara Fernsehturm. Die vollautomatische LRT Magnetbahn gleitet in luftiger Höhe durch die Hochhausschluchten, während unten die breiten Straßen verstopft sind von Autos und Motorrädern.

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Kühle Klimaanlagenluft und Menschen, schwer bepackt mit Einkaufstaschen, strömen aus den Shoppingcenter auf die Straßen; gutgekleidete Geschäftsmänner und -frauen eilen von einem Büro zum anderen, den Blick starr geradeaus gerichtet. Riesige Werbetafeln versprechen Glück und Zufriedenheit durch den Kauf neuer Produkte oder eine Steigerung des Lebensstandards.

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Steigende Kriminalitätsraten verängstigen viele Bürger. Vor den Shoppingcentern, größeren Geschäften, Parkplätzen und Schulen, stehen private Sicherheitsmänner. In Wohnvierteln patrouilliert in der Nacht die Polizei, viele Häuser haben einen kleinen Kasten wo die Polizisten vermerken, dass sie in der Nacht da waren. Die neueren Kondominiums haben alle einen zentralen Sicherheitsdienst. Möchte man jemanden besuchen, muss man seinen Namen und seine Telefonnummer angeben, manchmal muss man sogar seinen Pass vorzeigen und wird bis zur Wohnungstür des Bewohners begleitet. Der Aufzug funktioniert mit elektronischer Karte, und die Bewohner können in ihrem eigenen Haus nur in ihrem Stockwerk aussteigen; Treppenhäuser gibt es nicht oder nur für den Notfall. Überwachungskameras sind die Norm.

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Fotos von Ladendieben vor einem Supermarkt

Einen Abend gehe ich mit Freunden in einen Nachtklub. Die Preise sind auf europäischem Niveau, die Ausstattung und Musik auch. Schick gekleidete Menschen tanzen zu elektronischer Musik, viele Weiße, oft in Begleitung eines malaysischen Mädchens. Ich stehe auf der Dachterrasse, trinke mein teures Bier (von dem Geld könnte ich einen ganzen Tag essen) und schaue auf die Hochhauskulisse von Kuala Lumpur.

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Früher habe ich es wirklich gemocht zu feiern, zu tanzen, mich zu betrinken.

Doch diesmal kann ich es nicht genießen.

Wahrscheinlich habe ich zu viel Zeit in den ärmeren Ländern dieser Welt zugebracht, habe gesehen unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben und die Zusammenhänge erkannt. Es fühlt sich für mich falsch an, einen so hohen Lebensstandard zu leben wie in Deutschland, Nordamerika oder wie in wohlhabenden Städten wie KL. Unser Reichtum basiert auf der Ausbeutung und Unterdrückung eines Großteils der Weltbevölkerung; wir verschwenden Ressourcen als ob es nicht nur eine Erde gäbe sondern gleich mehrere. Unser hoher Lebensstandard bleibt anderen gezielt verwehrt. Wir leben auf Kosten der anderen, die soziale Ungleichheit wird immer größer und das derzeitige Politik- und Wirtschaftssystem lässt etwas anderes auch gar nicht zu. Heutzutage, in Zeiten des Internets, des freien Informationsflusses, kann niemand mehr sagen, er wüsste das nicht. Ich schreibe hier „wir“ denn auch wenn ich ein einfaches Leben führe mit wenig Geld, habe ich doch die meiste Zeit meines Lebens in Deutschland.

Es fällt mir nicht einfach so deutlich zu schreiben. Ich möchte hier niemanden wegen seines Lebensstils verurteilen oder gar angreifen, aber viele Menschen leben nicht sehr bewusst und sehen nicht die globalen Zusammenhänge. Natürlich ist es schwer sich einzugestehen, dass der eigene Lebensstil, den die meisten Menschen um einen herum auch leben, der als gut und richtig wahrgenommen wird, nicht besonders nachhaltig für unseren Planeten und die gesamte Menschheit ist.

Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf und machen mich traurig. Manchmal gelingt es mir nicht, auch das positive zu sehen.

Deprimierendes KL

Ich bleibe länger als geplant in dieser Stadt, die ich eigentlich nicht mag. Obwohl alles erledigt ist, fühle ich mich nicht nach Radfahren. Die letzten Wochen waren wohl etwas zu viel; in Myanmar saß ich fast jeden Tag auf dem Rad und auch danach ging es nur schnell durch Thailand und den Norden Malaysias.

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Karen, mein CS Host, bringt mich zu einem Wasserfall im Dschungel

Ich brauche mal eine längere Pause um neue Kraft zu schöpfen und finde ein neues Zuhause bei Karen, einer Couchsurferin. Sie hat eine kleine Wohnung in einem ruhigen Wohnviertel am Rande von KL. Die nächsten Tage verbringe ich viel Zeit vor dem Computer oder schlafend. Ich schlafe 12 Stunden, fühle mich müde, kraftlos, habe keine Lust raus zu gehen oder neue Leute kennen zu lernen. Es ist ein Tiefpunkt, eine Depression, die jeder Reisende wohl mal erlebt der lange unterwegs ist.

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Ein Affe vor den Batu Höhlen, eine weitere Touristenattraktion in KL
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Das Sultan Abdul Samad Gebäude am Merdeka Platz

Karen schafft es dann aber doch immer wieder mich zu überreden etwas zu unternehmen. Sie kennt KL sehr gut, weiß viel zu erzählen und kennt auch viele interessante Leute. Es tut mir gut mir ihr zu reden und wir werden gute Freunde. So vergeht die Zeit bis ich nach 5 Wochen endlich weiter fahre. Ich hoffe, dass es mir besser geht wenn ich erst mal wieder in Bewegung bin, neuen Input habe, dem nächsten Ziel entgegen radel.

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