Sumatra, Mai 2014
Eigentlich mag ich keine Polizisten oder Soldaten oder sonstige Autoritätspersonen und versuche mich möglichst von ihnen fernzuhalten. Die Begegnung mit der Geheimpolizei in Iran habe ich noch in Erinnerung, oder in Indien, als ein Polizist versuchte mich einzuschüchtern und Geld verlangte, da angeblich mein Pass ungültig sei. Und natürlich noch die Vorfälle in Myanmar. Bei meiner Abneigung geht es nicht direkt um die Menschen (es gibt auch nette Polizisten) sondern um die Funktion die sie in der Gesellschaft oder dem Staat erfüllen und was das aus ihnen macht.
Bevor ich anfange die Geschichte vom zu netten Polizisten zu erzählen, sei vielleicht noch anzumerken, dass so etwas überall passieren kann, nicht nur in Indonesien und auch nicht nur auf einer Polizeistation.
Zwei befreundete Radler gaben mir den Tipp in Indonesien in Polizeistationen zu übernachten. Es ist ein anstrengender Tag, die nie endenden Hügel Sumatras rauben mir die Kraft und die nie endenden vorbei-rasende LKW Kolonne die Nerven. Es ist genug für heute, ein Hotel ist nicht zu finden und ich entschließe mich, es bei der Polizeistation zu versuchen. Nur einer der Polizisten spricht etwas Englisch, doch sie verstehen was ich will. Der Polizei-Captain ist sehr freundlich und bedeutet mir direkt, ich könne in seinem klimatisierten Büro schlafen. Dankbar nehme ich das Angebot an und auch das Angebot einer Dusche. Der Captain hat ein Badezimmer an seinem Büro angrenzend. Ich ziehe also meine verschwitzen Klamotten aus und schütte mir mit einer Schöpfkelle Wasser aus einem Becken über den Kopf, so funktioniert das duschen hier. Die Tür geht auf und der Captain steckt seinen Kopf durch die Tür. Er zeigt auf die Seife und sagt sinngemäß ich könnte diese ruhig benutzen. Danach schaut er mich an und grinst und macht keine Anstalten die Tür wieder zu schließen.Ich frage ihn was das Problem sei und bedeute ihm zu gehen, was er dann auch macht. Ich denke mir nichts dabei.
Später dann, als ich meine Matte in seinem Büro ausrolle und schlafen will, passiert folgendes: Der Captain legt seine Matratze neben mich auf den Boden um dort zu schlafen. Das kommt mir komisch vor, doch ich denke, vielleicht ist es ja in Indonesien Sitte den Gast nicht alleine schlafen zu lassen, so wie ich das schon in anderen muslimischen Ländern erlebt habe.
Doch als er immer näher rückt und sich dann seine Hand auf meinen Bauch legt werden seine Absichten klar. Ich springe auf, schaue ihn wütend und verwirrt an und verlasse das Zimmer. Draußen ist ein weiterer Polizist, er hat Nachtdienst und schaut Fernsehen. Ich denke nach, welche Optionen habe ich?
Alle meine Sachen packen und in die Dunkelheit radeln um einen Platz zum zelten zu finden klingt nicht sehr verlockend.
Mein Zelt vor der Polizeistation aufzubauen oder mich einfach neben mein Rad zu legen ist da schon besser. Doch wie erkläre ich das den anderen Polizisten, dass ich plötzlich nicht in dem kühlen Büro des Chefs schlafen möchte sondern draußen? Ihnen von dem Vorfall erzählen scheidet aus, auch falls sie mich verstehen würden, würden sie mir wohl nicht glauben und zu ihrem Boss halten.
Was mich noch davon abhält ist die Sache mit dem Gesicht verlieren. Hier in Asien ist es das wichtigste für einen Menschen sein Gesicht zu Wahren, seine Würde zu behalten. Und der Captain würde definitiv sein Gesicht verlieren, was ich vermeiden möchte. Ich habe Angst es könnte die Situation verschlimmern, Menschen können sehr zornig werden und er hat vorher mehrmals deutlich gemacht dass er der Boss ist, der Chef des ganzen Distriktes.
Vielleicht war alles ja auch nur ein Missverständnis. Natürlich war ich freundlich zu allen Polizisten, habe den Captain angelächelt und probiert eine Unterhaltung mit ihm anzufangen. Und er hat diese Signale falsch interpretiert.
Ich bin unentschlossen was ich tun soll. Da kommt der Captain zu mir und bedeutet mir ich solle ihm in sein Büro folgen. Er zeigt mir, er würde auf dem Boden schlafen und ich auf dem Bett in einem angrenzenden Raum.
Nach kurzem zögern willige ich ein, es sieht für mich wie eine win-win Situation aus. Ich brauche nicht neben dem Captain schlafen und er braucht sich nicht vor den anderen Polizisten erklären. Ich hoffe das Missverständnis ist geklärt, er weiß nun, dass ich einfach nur schlafen will und kein Interesse an älteren Männern, mit oder ohne Uniform, habe.
Schlafen kann ich dann aber erst mal nicht. Ich kann meine Gedanken nicht abschalten und bekomme Angst. Ich male mir aus, was passieren würde, wenn er versucht mich zu vergewaltigen. Klar weiß ich mich zu wehren und nur eine Tür weiter sind zwei weitere Polizisten (soll mich das beruhigen oder mehr Anlass zu Sorge sein?). Aber was ist, wenn er mich ins Gefängnis steckt, ein Verbrechen erfindet um mich zum Schweigen zu bringen?
Irgendwann kann ich mich dann doch beruhigen, es sind schon zwei andere Sachen jemanden gegen seinen Willen zu vergewaltigen oder jemanden zu betatschen von dem man ausgeht er will das, sage ich mir.
Ich lasse das Licht an, lege mir ein T-Shirt über die Augen und versuche zu schlafen. Irgendwann werde ich durch eine Berührung wach. Durch einen Spalt zwischen meiner Augenbedeckung sehe ich den Captain neben meinem Bett stehen und gerade noch seine Hand von meinem Schritt zurückziehen. Ich bewege mich ein wenig und er verschwindet schnell im Nebenzimmer.
Ich liege eine Weile ängstlich wach, dann entschließe ich, es ist Zeit zu gehen. Es ist 5 Uhr morgens und wird bald hell. Ich packe meine Sachen, vermeide Blickkontakt mit dem Captain und verschwinde.
Mittlerweile kann ich über die Geschichte lachen. Es ist ja nicht wirklich was passiert. Doch trotzdem weiß ich nicht ob mein Verhalten richtig war. Hätte ich nicht sofort laut schreien sollen als der Captain mich zum ersten Mal angefasst hat? Ihm sehr deutlich machen dass ich das nicht möchte? Spätestens beim zweiten mal? Ihn bei seinen Kollegen anzeigen? Ihn sein Gesicht, seinen Job, seine Familie verlieren zu lassen?
Nein, ich denke es ist gut wie es ist. Das nächste Mal als ich bei der Polizei übernachte lehne ich jedoch vehement alle Einladungen ab in einem Zimmer zu schlafen und baue mein Zelt hinter der Polizeistation auf.