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Australien: Zu Hause in Crunchy Town

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In diesem Post geht es um den im letzten Artikel erwähnten Schatz am Ende des Regenbogens

Juni – Oktober 2015

“Ein Treffpunkt für Reisende um sich zu Hause zu fühlen. Eine Utopie wo täglich Freundschaften geboren werden und kreative Köpfe zusammenarbeiten, um zu bauen, zu begeistern und jemandes inneres Selbst hervor zu bringen. Eine Umgebung so bequem, wo Introvertierte die Tore zu ihren Gedanken öffnen und zu Extrovertierten werden.“

Sam

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Die letzten Monate habe ich (mit Unterbrechungen) in einem besonderen Haus gewohnt. Hier leben zwischen 20 und 30 Menschen aus aller Welt, Reisende wie ich. Manche bleiben nur ein paar Tage, viele bleiben länger als geplant, Wochen oder sogar Monate. Es ist eine internationale Community, gestartet von Sam, einem Australier der vorher in einem ähnlichen Haus in Vancouver, Kanada gewohnt hat.

Der Zugang erfolgt durch Couchsurfing.

Das ist eine soziale Plattform die es Menschen ermöglicht anderen einen Schlafplatz anzubieten. Es geht um Gastfreundschaft, interkulturellen Austausch und neue Freundschaften.

Nur einen Abend vorher hatte ich Sam eine Couchsurfing Anfrage geschickt und Minuten später wurde ich akzeptiert.

Willkommen in CrunchyTown! Wir freuen uns deine Anfrage zu akzeptieren, nur ein paar Dinge die du wissen solltest bevor du hierher kommst:
Wir sind immer beschäftigt, stell dich darauf ein sozial zu sein und dich einzubringen in die Aktivitäten von Crunchy Town. Wenn du Glück hast bekommst du ein eigenes Bett, aber du kannst dich schon glücklich schätzen wenn du diese Nachricht bekommst. :). Eine weitere wichtige Sache, da wir immer voll sind ist es an dir dein Gepäck aus dem Weg zu schaffen. Wir haben viel Stauraum unter den Betten.
Wenn du planst länger als 3 Nächte zu bleiben, wir haben ein Spenden-System doch darüber können wir reden, wenn du hier bist. Wir sind ein Gemeinschaftshaus. Alles, vom Kochen bis zum Putzen wird zusammen getan, frag einfach wie du helfen kannst. Wir freuen uns dich zu treffen und eine gute Zeit mit dir zu haben. Bis Bald“

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Bei meiner Ankunft am Nachmittag werde ich freundlich begrüßt und bekomme eine Tour des Hauses. Die Küche und das Wohnzimmer sind voll mit Leuten, in einer zweiten Etage gibt es fünf Zimmer, bewohnt von Leuten die länger bleiben und dafür Miete zahlen. Dann gibt es noch den Moonroom, ein großer Partyraum mit Musikanlage, Sofas, Filmprojektor und einem Kickertisch. Angrenzend zwei Räume für Couchsurfer, ausgestattet mit selbst gebauten Hochbetten aus altem Holz. Durch eine Lücke im Zaun geht es in den Garten des angrenzenden Grundstücks. Hier flattert auf einer großen Wäschespinne Wäsche im Wind – fast immer ist die Leine voll. Hier steht ein zweites Haus, the temple genannt und es hat noch einmal mehr Räume und eine zweite Küche. In der Einfahrt steht ein großer Van, im Garten ein paar Fahrräder.

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Doch was diesen Ort besonders macht sind natürlich die Bewohner. Abends sind fast alle zu Hause, jemand hat gekocht und es gibt ein großes Mahl für alle. Schweinebraten, Ofenkartoffeln, Salat und noch ein paar mehr Gerichte. Musik läuft, die Stimmung ist gut, es wird viel gelacht. Die Küche ist chaotisch doch nach dem Essen helfen alle mit putzen.

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Ich bin ein wenig überrumpelt von dem ganzen Trubel und so vielen neuen Menschen. Ich lausche den Gesprächen und beobachte. Für mich als Neuankömmling scheint es so als würden die anderen sich schon jahrelang kennen. Jeder begrüßt jeden mit einer Umarmung, es gibt viel Körperkontakte, hier wird dem Gesprächspartner ein Arm um die Schulter gelegt, dort eine Zigarette geteilt.

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Obwohl ich mich auf meiner Reise oft als neuer in Gruppen einbringen muss fällt mir das nicht immer so leicht. Hier in Crunchytown wird es einem aber leicht gemacht. Jeder ist sehr offen und interessiert, es gibt immer genug Reiseerfahrungen und Storys auszutauschen und genug Gelegenheiten sich kennen zu lernen.

Es ist einer dieser Orte wo die Zeit verfliegt und ich länger bleibe als geplant.

Jeder Tag ist anders in Crunchytown und ich stelle schnell fest dass ich gar keinen Plan brauche. Jeden Tag gibt es etwas zu tun oder wird spontan etwas unternommen. Es ist sehr dynamisch mit so vielen Menschen, einer hat eine Idee und wenn andere das mögen dann wird das gemacht. Gesellschaftsspiele, Fussball, mit dem Auto irgendwo hinfahren, spontane Party – die Möglichkeiten sind eigentlich unbegrenzt.

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Hinter all dem steht Sam welcher eine wundervolle Art hat Menschen zu involvieren. Er behält den Überblick über die Personen die kommen und gehen und sucht auch die Leute aus den Couchsurfing Anfragen aus. Er sagt es brauche den richtigen Mix aus Leuten damit es funktioniert. Nicht jeder weiß sich einzubringen in eine Gemeinschaft wie diese, gerade junge Reisende sind unerfahren oder am Anfang überfordert. Doch Sam gibt jedem eine Chance und sieht auch dass es für manche Menschen gut und wichtig ist Crunchytown zu erleben – auch wenn sie sich in dem Moment nicht so beteiligen können.

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Sam versteht es auch Leute zu motivieren Dinge zu tun die kaum einer gerne macht und geht immer mit gutem Beispiel voran. Mit so vielen Personen entsteht eine Menge Dreck und Chaos. Die Küche sauber halten, putzen, aufräumen und Essen besorgen – immer gibt es etwas zu tun.

Der Kühlschrank ist eigentlich immer voll, die Vorratsschränke auch. Doch niemand kauft hier ein, zumindest nicht auf herkömmliche Weise. Das ganze Essen ist dumpsterdived, containert aus Abfalltonnen von Supermärkten. Die Qualität der Lebensmittel ist hoch und die Menge erschreckend. Brot gibt es immer genug, Äpfel und Kartoffeln im Überfluss, alles mögliche Gemüse und Obst, Eier, Milch und auch Fleisch, welches oft noch tief gefroren oder zumindest kalt ist. Schokolade, Bier, Wein, Unterhosen, Küchengeräte, Tomatenpflanzen, Geschirr, Kleidung – so ziemlich alles findet sich mit der Zeit in einer der Mülltonnen.

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Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Gesetzliche Vorlagen die ein “Verfallsdatum” vorschreiben nach dem Lebensmittel nicht mehr verkauft werden dürfen obwohl sie noch gut sind. Supermärkte die überstocken und lieber zu viel einkaufen als zu wenig. Konsumenten die nur perfekt aussehendes Obst und Gemüse kaufen wollen und eine Marketingstrategie die auf größte Auswahl und Überangebot setzt.

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Es ist erschreckend wie viel weggeworfen wird, verschwendet, und für uns zugleich erfreulich. Hier ernähren wir über 20 Leute mit dem Abfall aus nur drei Supermärkten. Wir fahren drei- bis fünfmal pro Woche mit dem Auto zu den Ladebuchten, bringen große Kisten mit und öffnen die Müllcontainer. Manchmal sind sie verschlossen, manchmal leer oder voll mit echtem Müll, aber meistens voll mit Essen. Oft ist es so viel dass wir uns nur das beste raus suchen. Wir packen die Kisten voll und tragen sie zum Auto, niemanden scheint es zu stören. Nur manchmal schreit ein Supermarkt Mitarbeiter: “Diebe! Verschwindet!” Viele Lebensmittel sind in Plastik verpackt und sauber, zu hause helfen alle mit die Sachen abzuwaschen, zu sortieren, zu kochen und natürlich zu essen. Hier muss niemand hungrig bleiben, alles ist für alle da und wir essen wie die Könige.

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Es ist eine große Familie und es dauert nicht lange bis ich mich als Teil davon fühle und mehr öffne. Lange habe ich nicht mehr so ein Gemeinschaftsleben gelebt und es ist richtig gut für mich. Von dem eher stillen Beobachter der ersten Tage werde ich zu einem lebendigen Teil dieser Gemeinschaft. Zu einem Bewohner des Hauses, einem Mitglied der Familie, einem crunchy, ja sogar zu einem der Bewohner die mehr Zeit und Kraft in dieses Haus investieren als andere. Es erfüllt mich, mich zu kümmern, mich verantwortlich zu fühlen für dieses Zuhause was ich mit so vielen anderen Menschen teile.

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Hier herrscht so eine positive Energie, aus Träumen werden Taten und aus Fremden Freunde. Crunchytown ist auch ein Ort der Geborgenheit bietet, der einen sicheren Raum schafft um neue Dinge auszuprobieren, seine Komfortzone zu verlassen und ganz neue Erfahrungen zu machen. Menschen kümmern sich und passen aufeinander auf, niemand muss alleine sein oder sich sorgen.

Es ist so schön zu sehen wie Menschen hier aufblühen. Bei manchen geht es schneller, bei manchen dauert es etwas länger, doch nach einiger Zeit lässt jeder seine Hüllen und Masken fallen, verliert seine Ängste beurteilt zu werden und ist einfach nur er/sie selbst. Für nahezu jeden hier ist es eine lehrreiche Erfahrung die er nie vergessen wird.

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Als es endgültig Zeit ist Crunchytown (und Australien) zu verlassen, dann merke ich erst wie sehr es mein Zuhause geworden ist und wie viele neue Freunde ich hier gemacht habe.

Denn damit tiefe Freundschaften entstehen muss man schon eine gewisse Zeit mit Personen verbringen, gemeinsame Erlebnisse haben, Gespräche führen, sein Leben teilen. Und das war in den letzten Jahren auf meiner Reise nicht so oft der Fall. Zu kurz waren viele Begegnungen und oft konnte ich nur die Basis für Freundschaften legen. Doch nach der Zeit hier in Crunchy Town starte ich mit neuer Kraft, guten Erinnerungen im Kopf und Freunden im Herzen.

Auch wenn ich nicht viele Fotos in dieser Zeit gemacht habe möchte ich die Worte doch noch mit ein paar Gesichtern ergänzen:

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