New Zealand

Neuseeland: Winternächte

Veröffentlicht

Winternächte
Juni 2016

Warum bin ich eigentlich im Winter in Neuseeland? Habe ich vergessen dass die Jahreszeiten auf der Südhalbkugel entgegengesetzt sind?

Nein, natürlich wusste ich dass es kalt wird. Und nicht immer einfach. Es ist eine neue Herausforderung und das ist einer der Gründe warum ich bewusst in den Winter radel. Vor einem Jahr in Australien habe ich Oli getroffen, welcher mit dem Rad im Winter durch die Taklamatan Wüste in China gefahren ist. Diese wird von den meisten Radlern gemieden und mit einer langen Busfahrt überbrückt. Doch Oli glaubte es im Winter mit dem Rad schaffen zu können und Recht hatte er. Er berichtete mir von Tagen und Nächten weit unter dem Gefrierpunkt, von Wasserflaschen im Schlafsack und direkt am Körper damit es flüssig bleibt und von vereisten Fahrradketten und Schaltzügen und zugeschneiten Straßen.
Ganz so extrem möchte ich es dann doch (noch) nicht haben, und ein neuseeländischer Winter schien mir ganz gut um erste Erfahrungen zu sammeln.

Während ich mich also im Schrittempo die Serpentinen der Crown Range Road hochmühe ist es eine Mischung aus Ungewissheit und spannender Erwartung die mich antreibt. Am Tag vorher habe ich die Wettervorhersage im Internet abgerufen. Ein großen rotes Warnzeichen auf der Wetter Webseite weisst mich auf eine Schneewarnung für diese Straße, hin “severe weather conditions”. Bei genauerem lesen stellt sich heraus dass mit 2 Zentimetern Schneefall zu rechnen sei, also nichts was mir Sorgen bereiten sollte.

 

Obwohl die Luft kalt ist und der erste Schnee am Straßenrand sichtbar wird, komme ich ins schwitzen. Solange ich in Bewegung bleibe ist mir warm, aber sobald ich anhalte wird es schnell sehr kalt, besonders mit nassem durchgeschwitztem Shirt. Ein Schild informiert mich dass die Straße offen ist aber eine große Schranke ist bereit diese Strecke über die Berge zu schließen falls nötig. Ein Räumfahrzeug steht mit laufendem Motor bereit, der Fahrer gelangweilt in seinem Sitz. Die Straße ist frei doch die Schneeberge am Straßenrand werden größer je höher ich komme und schließlich ist alles bis auf die Straße von Schnee bedeckt.

Schließlich komme ich am Pass an, war doch gar nicht so schlimm, denke ich mir. Hier stehen zwei weitere Räumfahrzeuge, bereit ihre Arbeit zu tun falls der langsam einsetzende Regen sich doch noch in Schnee verwandeln sollte. Die Passhöhe ist ein beliebter Stop für Touristen um eine Schneeballschlacht zu machen und sich gegenseitig zu fotografieren. Und natürlich um diesen vollbepackten Radler zu beglotzen der dort im Schnee einen Kaffee kocht. In dieser Umgebung fängt niemand eine Unterhaltung an, nur ein paar Touristen machen aus gebührender Entfernung ein paar Fotos von mir.


Mir ist es recht denn jetzt wird mir kalt und es fängt an zu schneien. Ich ziehe ein trockenes Shirt und noch ein paar weitere Lagen an, ziehe den Reisverschluss meiner Regenjacke bis zum Kinn und mache mich an die Abfahrt. Es sind nur 40 km bis nach Wanaka, doch in Neuseeland muss man immer mehr Zeit einrechnen. Es geht bergab und die Schneeflocken werden dichter. Wie kleine Nadelstiche schmerzt es wenn sie auf meine Haut treffen oder trotz zugekniffener Augen auf meine Netzhaut treffen und dort schmelzen. Ich fahre vorsichtig da der Schnee anfängt liegen zu bleiben und ich stelle fest dass ich unbedingt meine Bremsen nachjustieren muss. Doch nicht gerade jetzt, morgen vielleicht.

Schnell bin ich aus der Schneefallzone heraus und es geht auf freier Straße weiter. In Wanaka steuer ich zuerst den Supermarkt an um meine Vorräte aufzufüllen und mir etwas Schokolade zu gönnen.
Danach geht es an die Schlafplatzsuche. Mittlerweile bin ich geübt dadrin schon auf meiner Karte geeignete Stellen zu identifizieren und finde mich kurz darauf auf einem kleinen Pfad an einem Flussufer wieder. Sobald ich die letzten Häuser hinter mir gelassen habe ist es nur noch eine Frage des bestimmens wo ich mein Zelt aufschlagen werde. Eine möglichst gerade und flache Stelle ist wichtig für geruhsamen Schlaf, ebenso Wind- und Sichtschutz stehen weiter oben in den Prioritäten. Es fängt schon an zu dämmern und ich sollte dringend in den nächsten Minuten einen Platz aussuchen, denn bald ist es komplett dunkel. Ich trete in die Pedale, der schmale Pfad führt auf und ab und ist eher für Spaziergänger oder Mountainbiker ausgelegt. Als ich den Schwung einer kleinen Abfahrt nutzen will um auf der anderen Seite den Hügel hochzurollen passiert es: Es knackt laut und mein Hinterrad blockiert, das Rad kippt zur Seite weg. Mir ist nichts passiert doch ich kann weder das Hinterrad noch die Pedale vor- oder zurück bewegen. Ich befürchte dass schlimmste und sehe mich schon das Fahrrad zur Straße zurücktragen um nach Wanaka zu trampen in den nächsten Radladen.


Doch zuerst muss ich mich um einen Zeltplatz kümmern bevor es komplett dunkel wird. Ich lasse mein Fahrrad allein und finde schnell eine geeignete Stelle zwischen ein paar Sträuchern. Nachdem ich alle Taschen und das Rad in mehreren Touren dort hingetragen habe ist meine Energie für den Tag aufgebraucht. Ungeduldig warte ich darauf dass der Reis fertig kocht während ich das Zelt aufstelle. Ich krieche direkt in den Schlafsack denn sobald es dunkel wird sinken die Temperaturen deutlich.

Diese Nacht merke ich dass es richtig kalt wird. Ich bin eingemummelt in meinen warmen Winterschlafsack, nur die Nasenspitze guckt raus um die kalte Luft einzuatmen. Doch in der Nacht wache ich auf weil meine Füße kalt werden und mir die Kälte langsam in die Knochen kriecht.

Es ist schon hell als ich aus dem Zelt krabbel. Über Nacht ist die gesamte Umgebung gefrostet. Überall sind Eiskristalle, meine Zeltwand ist steif gefroren. Ich bewundere die Schönheit dieses Naturwunders und genieße die Stille. Es dauert nicht lange bis die Kälte meine Kleidung durchdringt. Und heute morgen ist es schlimmer als die Tage vorher. Das Wasser in den Wasserflaschen draußen ist komplett gefroren, gut dass ich eine Flasche im Zelt hatte.



Sobald ich Wasser für den Kaffee aufgesetzt habe ziehe ich meine Handschuhe an, doch die Finger sind schon so kalt und steif dass es weh tut. Meine Füsse ebenso. Heute morgen reicht es nicht aus nur die Finger zu reiben sondern ich fange an kleine Runden um mein Zelt zu laufen damit mein Körper Wärme produziert und ich wenigstens meine Zehen spüre. Sehnlichst warte ich darauf dass die Sonne hinter den Bergen hervorkommt und nicht nur Licht sondern auch Wärme spendet. Zum Glück stelle ich fest dass mein Fahrrad von dem Sturz gestern nicht sehr stark beschädigt ist. Das Hinterrad hatte sich verkantet weil es aus den Ausfallenden gerutscht war, die Achse war wohl nicht fest genug angezogen. Eine Stunde später ist alles gepackt und ich in bereit für einen neuen Tag.




Zwei weitere kalte Tage und Nächte verbringe ich noch in den Bergen bevor ich die Westküste erreiche. Diese ist bekannt für mildere Temperaturen im Winter, starken Regenfall und lästige Sandfliegen. Doch dazu komme ich im nächsten Artikel.