New Zealand

Neuseeland: Westküste – die vorerst letzte Etappe

Juni 2016
Westküste- die vorerst letzte Etappe

Die Westküste empfängt mich mit Sonnenschein, das Meer glitzert blau und wild und ich möchte nichts sehnlicher als Sand und Wasser unter meinen Füßen. Doch der Zugang zum Meer ist durch Stacheldraht und Weideland versperrt. Erst nach 10 Kilometern finde ich eine Möglichkeit ans Wasser zu gelangen und den Ozean auf dieser Seite der Insel zu begrüßen. Ein kilometerlanger Strand und die warmen Farben der Nachmittagssonne sehen sehr einladend aus für einen müden Radler und ich lasse mich auf einem Stück Treibholz nieder. Ich jucke mich am Fuß. Schön ist es hier, da könnte ich glatt die Nacht verbringen. Wieder spüre ich einen Stich am Knöchel und diesmal schaue ich hinab. Sandflies! Ein gutes dutzend der kleinen grauen Fliegen sitzen auf meinem Fuß. Sandfliegen. Da war doch was. Ach ja, andere Reisende hatten mich vor den Sandflies gewarnt, einige versicherten mir es gäbe nicht schlimmeres und lästigeres und sie würden die kleinen Plagegeister hassen wie die Pest. Bis jetzt waren meine Bekanntschaften mit diesen Fliegen auf einige wenige Exemplare begrenzt. Sie stechen um Blut zu saugen und hinterlassen einen kleinen roten juckenden Stich. Nicht schlimmer als Mücken. Doch die Westküste ist sandfly territory und eine Sandfliege kommt niemals allein. Ich streife die Fliegen von meinen Füssen doch sofort sitzen andere an deren Stelle und stechen. Und es werden immer mehr. Nach nur fünf Minuten bin ich von kleinen Schwärmen von Sandfliegen umgeben die jede freie Stelle Haut nutzen um sich nieder zu lassen und an mein Blut zu kommen. Ich verwerfe den Plan hier etwas länger zu verweilen und schiebe mein Rad fluchtartig zurück zur Straße. Man muss vorbereitet sein hier, mit langen Anziehsachen oder Insektenschutz – oder extrem abgehärtet – ansonsten saugen einen die Sandflies aus und man kratzt tagelang die juckenden Stiche.

Rund 500 km liegen vor mir. Die Straße ist immer in Küstennähe doch es geht viel auf und ab. Die Westküste ist manchmal sanft mit flachem geschwungenem Farmland und ruhigen Stränden, und manchmal wild, kraftvolle Wasserbäche stürzen über schroffe Felsen dem Meer entgegen welches, angetrieben von den Winden der Tasmanischen See, mit voller Wucht gegen die steilen Klippen klatscht. Flüsse kommen in breiten Tälern aus den Bergen und große, meist leere steinerne Flussbetten zeugen von der Kraft des Wassers. Nach starkem Regen kann der Fluss zu einem vielfachen seines normalen Volumens anschwellen und alles was sich ihm in den Weg stellt davontragen.

Die Küste auf dieser Seite der Berge ist bekannt für hohe Niederschlagsmengen und tagelangen Regen, doch ich scheine Glück zu haben und werde erstmals vom Regen verschont.
Es ist einsam, die Distanzen zwischen den Orten sind verhältnismäßig groß und es gibt kaum Verkehr. Brücken sind in der Regel einspurig gebaut um Kosten zu sparen doch nur selten muss ich anhalten um ein Auto vorbeizulassen.

Ein neues Ziel
Eigentlich alles nach meinem Geschmack doch irgendwie fühle ich mich ausgepowert. Die letzten Wochen waren schön aber auch anstrengend und manchmal habe ich den Gedanken dass ich gerne schon am anderen Ende der Westküste wäre – ohne genau zu wissen was ich dann machen würde. Es ist dieses Gefühl nicht länger bleiben zu wollen wo ich bin aber andererseits auch irgendwo ankommen zu wollen. Da trifft es sich gut dass ich eine Email von meinem Freund Harry bekomme, welchen ich in Melbourne in der Crunchytown Community getroffen habe. Er ist schon ein paar Monate in Neuseeland und schreibt mir dass er gerade mit zwei anderen Crunchys ein Haus in Wellington gemietet hat um eine Art Community Haus zu starten. Ich habe nun mein Ziel und das Radeln fällt mir wieder leichter, wissend ich kann jederzeit in ein paar Tagen bei meinen Freunden sein.
Andere Länder wo ich mit dem Rad unterwegs war, waren alles Transitländer, mein Ziel war immer das Nachbarland, die nächste Grenze. Auf einer großen Insel wie Neuseeland fehlt diese geographische Vorgabe, ich muss nur entscheiden ob ich linksrum oder rechtsrum fahre.

Unter Touristen
Auf dem Weg nach Wellington gibt es einiges zu sehen. Die Westküste ist abwechslungsreich und gespickt mit schönen Orten, ich mache jeden Tag viele Fotos und staune über die rohe Schönheit welche die Natur hier an den Tag legt und auch die Touristen anlockt.
Fox Glacier ist einer dieser Orte und auch ich möchte mir den Gletscher anschauen, denn im Ort selber gibt es außer ein paar Hotelanlagen und dem üblichen Trio aus Pub, Dorfladen und Tankstelle nicht viel zu sehen. Ich radel durch dichten grünen Wald zum Parkplatz wo der Weg startet. Ein Schild informiert über die Gefahren in den Bergen wie Lawinen, Flüsse, Wetterumschwung und empfiehlt gut vorbereitet zu sein. Bis zum Gletscheraussichtspunk ist es eine gute Stunde, aufs Eis darf man nicht aus Sicherheitsgründen. Das bleibt den wohlhabenderen Touristen vorbehalten welche in den Helikoptern sitzen die regelmäßig über das Tal fliegen. Rundflug, Landung auf dem Eis und Rundgang mit einem erfahrenen Guide gibt es schon für ein paar hundert Dollar und viele Leute scheinen diese Angebote wahrzunehmen. Es ist nicht nur der Krach der mich stört sondern die Tatsache dass diese Art von Tourismus nicht gerade klimafreundlich ist und dazu an einem Ort stattfindet wo die Erderwärmung sehr deutlich zu sehen ist. Gletscher weltweit schmelzen ab und schrumpfen mehrere Meter pro Jahr.

Auf dem Weg zum Gletscher sind alle 200 Meter Warnschilder aufgestellt. Gefahr! Bleib auf dem Weg! Die Schilder sind wirklich überall und ich halte es für ein wenig übertrieben. Der Gletscher selber ist enttäuschend für mich. Wie eine schrumpelnde graue Frucht liegt die Eiszunge zwischen den Bergmassiven, ich halte mich nicht lange auf und mache mich auf den Rückweg.

Lake Matthieu klingt vielversprechender für mich. Dort soll man die perfekte Reflexion von Mt Cook und Mt Tasman sehen können, den beiden höchsten Bergen auf der Südinsel. Der See ist klein und relativ schnell umrundet. Hölzerne Stege, sogenannte Boardwalks, geben verschiedene Perspektiven auf den friedlich im Wald gelegenen See. Der Abend ist bewölkt und ich entscheide mich dafür es beim Sonnenaufgang nochmal zu probieren ein paar schöne Fotos zu knipsen. Ich schlage mein Zelt hinter einem Cafe auf welches am Parkplatz die Touristengruppen bewirtet. Es gibt öffentliche Toiletten und einen Wasserhahn, alles was ich brauche. Andere Freedom Camper (Menschen die im Auto reisen und nur an kostenlosen Plätzen übernachten) bleiben auch über Nacht hier, ich zähle ungefähr 10 Fahrzeuge. Im Sommer dürften es deutlich mehr sein.

Es ist noch dunkel als ich aus dem Zelt krieche und vergeblich Wasser für einen Kaffee kochen will. Die Gaskartusche hat nicht genug Druck in dieser Kälte. Warm eingepackt und meine Kopflampe den weg weisend mache ich mich auf den Weg zum Sonnenaufgangspunkt um die perfekte Reflexion zu jagen. Für eine Stunde laufe ich durch den stillen Wald und erreiche als erster die hölzerne Plattform im Wasser für den begehrten Blick. Es dämmert schon als ich mit verfrorenen Fingern meine Kamera aufstelle für ein Timelapse und nach und nach erscheinen auch ein paar mehr Menschen, die meisten von ihnen ausgerüstet mit Kameras. Es ist windstill und das Licht der erscheinenden Sonne flutet sanft über die frierende Landschaft. Wasserdampf steigt auf und beschlägt auch die Linse meiner Kamera. Die perfekte Reflexion wird perfekt getrübt.

Es ist wirklich Zeit für einen heißen Kaffee und Frühstück und ich mache mich auf den Rückweg. Gerade rechtzeitig bevor eine Busladung von 20 jungen Backpackern die kleine Plattform völlig überfüllt und mit lauten Gesprächen und Fotoblitzen die friedliche Stimmung aufrührt.

Der Radlerfreund in Hokitika
Es geht weiter nach Hokitika und der Qualm von den Kohlefeuern in den Kaminen verschmilzt mit der grauen Wolkendecke zu einem einzigen Dunst. Regen liegt in der Luft und ich habe noch keinen Platz für mein Zelt gefunden und bin auch zu müde um aus der Stadt zu radeln. Doch ich sträube mich in ein Hostel zu gehen, ab 25 Dollar aufwärts bekommt man einen Schlafplatz in einem Gruppenraum, manchmal mit bis zu 10 Leuten.

Ich besinne mich des Radlernetzwerks Warmshowers und steuer die Bibliothek an, denn dort ist es warm und trocken und es gibt freies Internet. Tatsächlich gibt es einen Warmshowers Host in Hokitika und ich schreibe ihm eine Nachricht. Keine zehn Minuten später habe ich eine Email, Kevin ist zu Hause und er kann mich für heute Nacht beherbergen. Seine Adresse schickt er gleich mit und eine halbe Stunde später stehe ich noch trocken vor seiner Haustür. Glück gehabt!

Kevin ist kein Radler. Aber irgendwie hat er das Warmshowers Netzwerk gefunden und seitdem beherbergte er schon zahlreiche Radreisende in seinem kleinen Haus. “Alles nette Menschen” sagt er und für ihn bedeutet es immer Gesellschaft. Er zeigt mir sein Gästezimmer, aufgeräumt und einladend sieht es aus. Auf einem der Betten liegt sein Gästebuch. Beim Durchblättern fallen mir einige der Namen ins Auge, Radler dessen Internetseiten ich kenne oder sogar Radler die ich persönlich getroffen habe. Buggi, mit dem ich in Myanmar und Malaysien unterwegs war, ist hier beim Kevin untergekommen und ein anderes deutsches Pärchen auch. Ich fühle mich hier direkt wohl und verbringe zwei verregnete Tage mit Kevin. Wir bekochen uns abwechselnd und erzählen uns Geschichten – ich vom Radeln und er vom Trampen, so nennt man das Bergwandern hier in Neuseeland. In jüngeren Jahren war Kevin viel in den Bergen unterwegs und später bei Such- und Rettungsaktionen involviert. Als er mir alte Fotos zeigt und detaillierte Wanderkarten wird mir wieder einmal bewusst dass ich mit dem Rad nie so richtig in die Wildnis rauskomme, zu sehr bin ich auf Straßen angewiesen.




Wilde Westküste

Ein wenig Wildnis gibt es dann doch auf dem Westcoast Wilderness Trail, der mich durch Felder und Wälder nach Greymouth bringt. Die größte Stadt an der Westküste, rund 10.000 Einwohner, bietet mir eine andere warme und trockene Nacht. Felippe und Marianna nehmen mich auf. Das brasilianische Pärchen ist zum Arbeiten hier um Geld zu verdienen für eine lange Radreise. Felippe war schon ein Jahr in Brasilien unterwegs und möchte nun mit seiner Freundin die ganze Welt in Angriff nehmen. Die Ausrüstung ist schon gekauft und wir fachsimpeln und reden bis tief in die Nacht. Sehr spannend zu sehen wie zwei Leute einen Traum haben und zielstrebig darauf hinarbeiten ihn zu erfüllen. (Mittlerweile sind die beiden los geradelt, www.pedaispelomundo.com/en)

Ich radel weiter die Westküste hoch. Hoch und runter führt die Straße an der rauen Küstenlinie entlang, spektakuläre Ausblicke wechseln sich mit sandigen Buchten ab. Die Strände sind wild, voller Treibholz und voller Sandfliegen.
Ein kleines Seitenabenteuer erlebe ich auf der Old Ghost Road, ein ziemlich anspruchsvoller Mountainbike Trail, welcher in den letzten Jahren mit Hilfe von vielen Freiwilligen fertiggestellt wurde. Er folgt einer um 1870 geplanten Verbindung zwischen zwei alten Goldgräbersiedlungen welche aufgrund des unwegbaren Terrains nie realisiert wurde. Heute ist es möglich mit dem Rad oder zu Fuß diese 85 km Wildnis zu durchqueren und für mich waren es 3 anstrengende aber auch wunderschöne Tage.

Es geht zurück auf die Straße doch hier oben ist kaum noch Verkehr. Die Straße endet in Karamea, einem kleinen verschlafenen Ort mit einigen hundert Einwohnern. Von hier fängt der Heaphy Track an, einer der bekanntesten Wanderwege in Neuseeland, welcher durch die Berge an die Ostküste führt. Rund 80 km sind es, eine Kleinigkeit für mich im Gegensatz zu den über 400 km die es über die Straße bräuchte. Der Heaphy Track ist eine Besonderheit denn in der Wintersaison ist er auch für Radler geöffnet und nicht nur für Wanderer. Mit meinem vollgepackten Rad ist es jedoch eine ganz schöne Herausforderung die Berge zu überwinden. Regen und Wind setzen mir zusätzlich zu und ich bin froh in den Hütten übernachten zu können anstatt im Zelt. Nach drei Tagen komme ich auf der anderen Seite an und habe nun nur noch ein Ziel: Möglichst schnell die 250 km nach Picton zurück zu legen, von dort geht die Fähre nach Wellington auf die Nordinsel.