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Patagonien – Gegen den Wind

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Patagonien – Gegen den Wind

Januar 2018

Hier in Patagonien sagen wir: Quien se apura, pierde su tiempo! Wer sich beeilt, vergeudet seine Zeit. Bleib doch noch einen Tag Florian!“ sagt mir Carlos, mein Couchsurfing Host in Puerto Natales. Und recht hat er. Die letzten Tage waren schwierig gewesen. Schwieriger als gedacht. Und das hat mit dem Wind zu tun. Der bläst hier quasi ständig, meistens von nordwestlicher Richtung, was für mich Gegen- oder Seitenwind bedeutet.

Wenigstens bin ich nicht der einzige Radler der sich hier abrackert. Ich rede nicht von den Radlern die von Norden kommen und mit dem Wind fliegen, nein es gibt noch ein paar andere welche sich für die schwierigere Variante entschieden haben. So wie Jamie aus Großbritannien, welche seit zwei Jahren mit dem Rad unterwegs ist . Sie kommt gerade aus Australien und ist gut in Form – ganz im Gegensatz zu mir. Zusammen kämpfen wir gegen den Wind, welcher hier nicht vom Meer her kommt, sondern vom Landesinneren. Als die Straße dann nach Westen abbiegt kommt er frontal von vorne. Keine Hindernisse stellen sich ihm in den Weg (außer die dummen Radler), die Landschaft ist wie leergefegt, die berühmte argentinische Pampa hat begonnen.

Es geht über die Grenze nach Chile. Feuerland ist eine Insel, und der argentinische Teil ist vom Rest des Landes abgetrennt und von Chile umgeben. Ich frage den Grenzbeamten ob der Wind jeden Tag so stark sei. „Stark? Das ist noch gar nichts, das geht noch viel stärker!“ ist seine Antwort und ich suche vergebens nach einem Zeichen von Sarkasmus in seinem Gesicht.

Mein Pass ist abgestempelt und ich möchte mich gerade aufs Rad schwingen als ein anderer Beamter auf mich zukommt. Er möchte meine Taschen kontrollieren, es ist nämlich verboten frisches Obst und Gemüse nach Chile einzuführen. Er hat eine gute Nase und zeigt zielgerichtet auf die beiden Taschen wo mein Essen drin ist. Ich versichere ihm, keine frischen Sachen dabeizuhaben, doch er möchte trotzdem mal nachschauen. Und wird auch fündig. Ein Kilo getrocknete Kichererbsen und den gerade erst gekauften Honig nimmt er mir ab. Verboten. Das fängt ja gut an, den nächsten Laden gibt es erst in 150 Kilometern, die nächsten Tage wird es dann weißen Reis und bitteren Kaffee geben.

Das erste spanische Wort was ich hier lerne ist „ripio“ zu deutsch Schotter, denn daraus besteht von nun an die Straße. Zum Glück wird gerade eine neue Straße gebaut und ein paar Kilometer geht es auf einer noch nicht fertigen Betonstraße weiter. Es macht das radeln etwas einfacher, doch der Wind ist so stark, dass ich schon bald in den ersten Gang schalten muss um überhaupt vorwärts zu kommen.

Schon längst hat der Wind meine Vorstellungen von einem ganz entspannten Radeln fortgeblasen. Das hier ist harte Arbeit und Pause machen geht auch nicht. Nirgends kann man ein Zelt aufbauen, es ist notwendig einen geschützten Platz zu finden. Und der kommt am Abend an einer Kreuzung in Form eines Wartehäuschens. Fast täglich finden hier Radler Schutz vor dem Wind und verbringen eine Nacht, die Wände sind vollgekritzelt mit Grüßen und Sprüchen.

Abends hört der Wind plötzlich auf, doch ich bin viel zu erledigt um jetzt weiter zu radeln. Meine Beine und Knie tun weh, mein Nacken ist verspannt, meine Handgelenke schmerzen. Ich bin das radeln nicht mehr gewöhnt und brauche dringend ein paar Pausentage.

Doch erst mal muss die nächste Stadt erreicht werden. Wir stehen früh auf um dem Wind zu entkommen, welcher zwar mit der Sonne aufsteht aber morgens noch deutlich schwächer bläst. Mir gefällt es gar nicht mir einen Wecker zu stellen und mich morgens zu beeilen. Keine Zeit für ein ausgedehntes Frühstück, mit selbstgebackenem Brot und zweitem Kaffee. Doch ich weiß auch dass es Sinn macht und bin froh dass Jamie da ist und mich mitzieht. Ohne sie wäre ich wohl noch lange in Argentinien, oder hätte schon nach 20 km aufgegeben. Doch zu zweit ist es manchmal einfacher und wir mühen uns zusammen ab. Abends finden wir Zuflucht in einer alten Fischerhütte. Eigentlich ein ziemlich runtergekommener Schuppen und nach Fisch stinkt es auch, doch nach einem harten Tag im Wind und kommenden Regen ist jeder Schutz willkommen. Und tolle Aussicht hat es auch.

Am nächsten Tag treffen wir drei Brüder aus der Schweiz. Sie haben es geschafft sich zusammen ein halbes Jahr frei zu nehmen und wollen von Ushuaia bis nach Kolumbien radeln. (Wo sind denn eigentlich meine Brüder? (und Schwestern?) )Ein wenig desillusioniert von dem Wind und dem harten Start sind auch sie, doch das tut der guten Laune keinen Abbruch. Wir nehmen zusammen die Fähre von Porvenir nach Punta Arenas und verlassen damit Feuerland. Wir zelten eine Nacht zusammen auf einer Wiese und sie haben die Kraft am nächsten Tag weiterzuradeln, genauso wie Jamie.

Wenn der Wind gewinnt

Ich mache noch einen Tag Pause und bin froh wieder alleine zu sein. Dann geht es aus Punta Arenas raus. Der Wind scheint hier noch stärker zu sein als die Tage vorher und als die Hügel aufhören und es in die offene Pampa übergeht, finde ich mich schnell schiebend am Straßenrand wieder. Der Wind kommt von der Seite, in heftigen Böen, und radeln ist schlicht und einfach nicht mehr möglich. Er hebt das Vorderrad an, verreist den Lenker, und befördert mich immer wieder fast in den Straßengraben. Es ist gefährlich und ab einem Zeitpunkt ist auch schieben kaum noch möglich. So etwas habe ich noch nicht erlebt, auch in Australien nicht. Das kann doch nicht normal sein, heute muss ja wohl ein besonders windiger Tag sein, denke ich mir. Ich suche Zuflucht in einem verlassenen Polizeiposten, völlig außer Kräften und nach nur dreißig Kilometern. Draußen heult der Wind, Sturm ist die richtige Bezeichnung, und das Haus wackelt bei jeder Sturmböe. Ich habe keine Ahnung wie es weitergehen soll. Die mehr als 200 Kilometer bis nach Puerto Natales, der nächsten Stadt, scheinen bei diesem Wind nicht zu schaffen zu sein. Später kommen noch drei andere chilenische Radler, ähnlich erschöpft und hoffnungslos wie ich.

Der Sturm tobt die ganze Nacht. Am nächsten Morgen wollen wir es gemeinsam probieren. Wir kommen zehn Kilometer weit, in drei oder vier Stunden, und entscheiden uns bis zum Abend zu warten. Denn oft gibt es abends eine Periode von ca. zwei Stunden in denen es fast windstill ist. Wir brechen um sechs Uhr auf doch kommen nicht sehr weit. Bei hereinbrechender Dunkelheit stürmt es immer noch und ich bereite mich darauf vor,die Nacht hinter einem Hügel an der Straße zu verbringen. Doch die anderen Radler entschließen sich zu probieren ein Auto anzuhalten.

In meinen Augen ein sinnloses unterfangen. Per Anhalter zu reisen ist hier schwierig und dann auch noch mit vier Personen plus Räder und Gepäck – keine Chance. Doch es vergehen keine fünf Minuten bis zwei große Touristenbusse anhalten, der eine mit einem Anhänger. Die Fahrer arbeiten als Tourguides und sind mit den leeren Autos unterwegs nach Hause, nach Puerto Natales. In dem Anhänger ist genug Platz für alle Räder und Gepäck.

Es widerstrebt mir ein wenig mein Rad zu verladen, es fühlt sich wie aufgeben an, doch es ist die richtige Entscheidung. Bei diesem Wind ist radeln einfach nicht möglich. Erst als ich im Bus sitze, merke ich wie müde ich bin. Nicht nur mein Körper ist völlig erschöpft, auch mein Kopf ist müde. Dieses ständige dem Wind ausgesetzt sein, der an der Kleidung zerrt, am Fahrrad, der in den Ohren heult, das ist ganz schön stressig. Im Auto ist es warm und windstill und zum ersten mal erkenne ich wie schön doch die Landschaft ist. Das warme Abendlicht der Sonne lässt die nahen Berge erstrahlen und durch die Glasscheibe hindurch lassen sich die vom Wind gepeitschten Felder ganz anders anschauen, viel friedlicher.

In Puerto Natales können wir bei einem der Fahrer im Garten zelten, es gibt asado, große Fleischstücke überm Feuer gegrillt. Dazu roten Wein, denn dies ist schließlich Chile.

Puerto Natales ist ein kleines schläfriges Städchen, Ausgangspunkt für Touren zum Nationalpark Torre del Paine.Carlos, ein super netter Typ, lädt mich zu sich nach Hause ein und ich ruhe mich ein paar Tage aus, denn wenn du dich zu sehr beeilst in Patagonien, vergeudest du nur deine Zeit!