Argentina

Patagonien: Von der Pampa und dem Puma

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Von der Pampa und dem Puma

Februar 2018

Die argentinische Stadt El Calafate ist mein nächstes Ziel, um dort den berühmten Perito Moreno Gletscher zu sehen. Die Strecke dorthin erfordert ein wenig Planung, denn es geht wieder durch die Pampa. Essen für mehrere Tage ist notwendig und es gibt nur wenige Stellen wo es Wasser gibt und Windschutz. Eine App fürs Smartphone erleichtert das finden dieser Stellen. IOverlander basiert auf google maps und Reisende können dort Informationen zu Campspots oder Sehenswürdigkeiten hinterlassen. Da ist zum Beispiel eine kleine Tankstelle im nirgendwo, wo es Wasser gibt. Der nächste Ort ist dann 100 Kilometer weiter, ein Haus einer Art Straßenbaubehörde, in dessen Windschatten zur Hochsaison jeden Abend bis zu 20 Radler ihr Lager aufschlagen. Die Arbeiter dort geben ihnen Wasser und lassen sie die Toiletten benutzen, und sind wahrscheinlich auch froh etwas Gesellschaft zu haben.

Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt alles nach dem Wind auszurichten. Auch wenn es bedeutet mal um vier Uhr aufzustehen und noch vor Sonnenaufgang los zu radeln. Auf den Wind ist Verlass, doch auch er ist für Überraschungen gut. Einen Tag lang habe ich plötzlich Rückenwind und das Gefühl ist unbeschreiblich. Ich sause dahin ohne einen Pedalschlag zu tun, der Wind schiebt mich sogar die Steigungen hinauf, es ist unglaublich. So muss dass auf einem Motorrad sein, nur ohne den Lärm des Motors. Und das kuriose ist ja, während man mit Licht- ähm Windgeschwindigkeit dahin düst, fühlt es sich fast windstill an. Kein Wind der an der Kleidung zerrt, es ist nicht kalt und es ist auch kein Geräusch zu hören. Nur die Tatsache dass man fährt ohne viel zu treten und dass die Grashalme sich biegen lässt einen erinnern dass es windet. Und wenn man anhält natürlich, denn dann wird man mit dem Rad zum Hindernis und es stürmt und tost um einen herum.

Nach dem Fliegen über den Asphalt der Ruta 40 geht es eine Abkürzung über eine Schotterpiste. Und hier geht es mir schon fast zu schnell. Der Wind treibt mich an, ich brauche nur noch den großen Steinen auszuweichen und mir den besten Fahrweg zu suchen, doch Konzentration ist gefragt und manchmal muss ich sogar bremsen. Es ist der Rückenwind meines Lebens doch das Wunder hält nur einen Tag an. Dann dreht die Straße wieder und der Wind wird wie gewohnt zur Qual.

Vieles an der Landschaft erinnert mich an das australische Outback. Die Kargheit der Landschaft, die langen Distanzen zwischen Ortschaften, die geraden, endlos in der Ferne verschwindenden Straßen und auch der Wind. Nur Kängurus gibt es hier nicht, dafür Guanacos. Eine Art Lama, welche hier in großer Zahl vorkommen und öfters mal über die Straße rennen. Und auch einen großen flugunfähigen Vogel gibt es hier, das Gegenstück zum australischen Emu.

Das einzige größere Raubtier hier ist der Puma, doch den sieht man sowieso nicht sagen die Leute. Ich habe Glück: Einen Abend zelte ich mit zwei anderen Radlern an einem Flüsschen unter Bäumen. In der Dämmerung sitzen wir am Feuer als auf der anderen Seite des Flusses, vielleicht 20 Meter entfernt, ein Tier hinter einem Sandhügel hervorkommt. Ein großer Hund, denke ich, doch es sieht eher aus wie eine große Katze. „Puma, Puma!“ rufe ich halblaut und aufgeregt, und der Puma sieht uns auch. Für ein paar Sekunden erstarrt er und schaut uns an, dann rennt er davon. Eine imposante Begegnung.

Großer Gletscher – kleine Welt

In El Calafate angekommen heißt es Vorräte aufstocken und natürlich essen. Ich hatte vergessen wie viel man als Radler isst. Das Essen scheint einfach so in meinem Magen zu verschwinden, wenn ich radel habe ich alle zwei bis drei Stunden Hunger. An den Pausentagen verbringe ich auch viel Zeit mit essen und ich denke ich werde in einem zukünftigen Artikel mehr schreiben was ich denn so koche.

Der einzige Grund in El Calafate zu sein ist für mich (und zahlreiche andere, meist argentinische Touristen) der Perito Moreno Gletscher. Er soll gigantisch sein und ist einer der wenigen Gletscher weltweit der nicht kleiner wird. Gespeist wird er vom campo de hielo sur, dem großen südlichen Eisfeld, welches den drittgrößten Süßwasserspeicher der Erde bildet. Von El Calafate sind es nochmal 80 Kilometer bis zum Gletscher und ich habe keine Lust diese gegen den Wind zu radeln, denn schon die 30 Kilometer von der Ruta 40 bis nach El Calafate waren anstrengend genug.

Ich lasse also mein Rad stehen und trampe. Das geht hier einfach und schon nach wenigen Minuten hält ein Auto an. Drei argentinische Mädels nehmen mich mit und sie haben schon ein anderes Pärchen aufgenommen. Marc aus Italien und seine Freundin aus der Slowakei reisen schon eine Weile um die Welt. Irgendwann kommen wir auf Couchsurfing zu sprechen und es stellt sich heraus, dass die beiden Gäste im Crows Nest in Wellington waren, wo auch ich ein halbes Jahr gelebt habe. Ich hatte sie dort nicht getroffen, aber wir kennen viele Personen gemeinsam. Wie klein die Welt doch ist.

Der Gletscher ist in der Tat beeindruckend. Etwas ganz anderes als die Gletscher in Neuseeland. Die Dimensionen sind gigantisch und das Eis knackt und knarzt unter dem Druck unter dem sich der Gletscher ins Tal schiebt. Manchmal stürzen riesige Eisbrocken tosend ins Wasser und werden zu kleinen Eisbergen, ein wundervolles Schauspiel. Der Umweg hat sich gelohnt und auch die 250 argentinischen Peso (15 Euro) die man als Ausländer bezahlen muss.

 

Die nächste Etappe führt nach El Chaltén – 200 km und vier ereignislose Tage durch die Pampa. Gegen den Wind kämpfen, fluchen, essen, schlafen. Wobei am ersten Tag der Wind auf meiner Seite ist, zumindest die 30 km von El Calafate bis zur Ruta 40. Hier müssen sich die entgegenkommenden Radler abmühen, gleich sechs Stück sind es heute die mir entgegenkommen. Die meisten kommen von der Carretera Austral und sind die Winde in der Pampa noch nicht gewohnt. Ein anderer deutscher, welcher etwas verzweifelt dreinschaut als er erfährt dass ihm noch 18 km bevorstehen und der Wind abends nur noch stärker wird, bringt es auf den Punkt. „Ick versteh das nicht. Was wolln die denn alle hier? Hier gibt’s doch nix zu sehen außer der Pampa und dann noch der Wind, das ist doch total bekloppt. Das macht doch keenen Spaß mehr.“ Sehe ich auch so, aber da muss man halt durch.

Eine Nacht verbringe ich im unter Radlern berühmten Hotel Rosa, einem leerstehenden rosa Haus neben der Straße. Und angesichts des Windes fühlt es sich wie ein fünf sterne hotel, dazu gratis.

Wanderparadies El Chaltén

El Chaltén ist touristisch. Und teuer. Zwei Eigenschaften die mir nicht so zusagen, doch oft hat es ja auch einen Grund warum ein Ort touristisch ist. In Chaltén sind es die Berge. Der Cerro Fitz Roy (Cerro Chaltén) und der Cerro Torres sind nicht nur wunderbar und markant anzuschauen (wenn sie mal nicht hinter den Wolken versteckt sind), sondern sind auch unter Bergsteigern berühmt. Für die weniger Abenteuerlustigen gibt es genug Wanderwege durch das Bergmassiv. Die kleine Stadt wurde erst 1985 gegründet, damals als Außenposten um die Grenzansprüche Argentiniens zu untermauern. Hier gibt es noch ein Gebiet wo der Grenzverlauf zwischen Chile und Argentinien nicht ganz geklärt ist. Chaltén hat weniger als 2000 Einwohner (im Winter deutlich weniger), und jede Menge Touristen.

Ich zelte in einem Wäldchen am Stadtrand, hier stört das niemanden, und werde direkt am ersten Abend zum Essen eingeladen. Michaela und Matthias aus Buenos Aires sind selber mit dem Rad unterwegs, wenn auch ein wenig anders. Ihre Räder sind aus Schrotträdern zusammengebaut, die Gepäckträger und Taschen improvisiert. Für ein Jahr sind sie in Argentinien unterwegs gewesen, ohne jegliches Geld. Sie fragen in Geschäften, Bäckereien und Restaurants nach Essen und vertrauen auf die Gastfreundschaft von Menschen – es scheint zu klappen. Gerade sind sie aber in einem Auto mit den Eltern von Matthias unterwegs. Sie laden mich auf Pasta ein und es stellt sich heraus das wir einen gemeinsamen Freund haben und hier muss ich ein wenig weiter ausholen: Sebastian Engel  ist selber seit einigen Jahren mit dem Rad unterwegs. Wir waren zur selben Zeit in Asien, sind uns aber nie über den Weg geradelt. Doch ich lese seinen Blog und wir sind auch in sporadischem Emailkontakt. Sebastian hat vor zwei Jahren für eine Weile in der unter Radlern berühmten Panaderia La Union in Tolhuin gelebt und dort gearbeitet. Diese liegt rund 100 km nördlich von Ushuaia und bietet Tourenradlern eine kostenlose Unterkunft und köstliche Backwaren. Auch ich war in der Bäckerei und wollte mich dort nach Sebastian erkundigen, wusste ich doch dass er gerade wieder in Argentinien unterwegs ist. Doch die Bäckerei war voller Leute und es war erst vormittags, am Tag vorher hatte ich es nicht mehr bis nach Tolhuin geschafft. Ich entschloss mich also weiter zu radeln, sogar ohne etwas von den Leckereien zu kaufen. Was ich nicht wusste, war, dass Sebastian gerade wieder dort war, auf seinem Weg nach Ushuaia. Wir haben uns quasi nur um wenige Meter verpasst. Andere Radler erzählten es mir später. Für dieses Mal hatten wir uns verpasst, doch ich war auf seiner Spur.

Mica und Matthias kannten ihn also, und auch Florencia welche die Casa Ciclista hat, eine Art Gästehaus für Radler. Sie lädt mich zu einem asado ein, einem barbecue, und auch kostenlos dort zu schlafen, da ich kein Geld für Übernachtungen ausgeben will. Doch ich habe schon eine Einladung, von einer anderen Freundin von Sebastian, deren Kontakt er mir gegeben hat. Pamela ist auch Radlerin und ihre Geschichte ist faszinierend und inspirierend. Sie war zu einer Reise von ihrer Heimatstadt Cordoba bis nach Ushuaia aufgebrochen.  El país del viento – das Land des Windes nannte sie die Reise und verknüpfte sie mit verschiedenen Bildungsprojekten für Kinder. Anschließend schrieb sie ein Buch über ihre Erfahrungen.

Pamela entschloss sich weiter zu radeln, doch in Urugay war ihr das Schicksal nicht wohl gesonnen. Ein Auto raste in sie hinein, zertrümmerte ihr Rad und zahlreiche Knochen und als sie nach drei Monaten aus dem Koma erwachte konnte sie weder sprechen noch sich bewegen noch sich an viele Sachen erinnern. Die Ärzte gaben ihr wenige Chancen sich jemals wieder davon zu erholen. Doch Pamela sagt sich, wer gegen den Wind in Patagonien gekämpft hat, kann alles schaffen. Schritt für Schritt lernte sie alles neu und sobald sie sich wieder einigermaßen bewegen konnte, zog sie nach Chalten. Denn im Krankenbett hatte sie immer wieder von den Bergen geträumt, Bilder gesehen vom Fitzroy und gefühlt, dort müsste sie hin. Im Winter kam Pamela dort an, mietete einen kleinen Raum und setzte ihre eigene Rehabilitation fort. Jeden Tag ging sie in die Berge, egal wie das Wetter war, jeden Tag kämpfte sie gegen sich selbst, gegen ihren müden Körper, der sich anfangs weigerte diese Strapazen auf sich zu nehmen. Doch mit jedem Tag wurde sie stärker, gewann an Kraft und konnte längere Ausflüge unternehmen. Wer die Geduld und Ausdauer hat, gegen den patagonischen Wind zu radeln, kann alles schaffen sagt sie.

Dieses lebensfrohe und mutige Mädchen, welche auf ihrer Reise so viel Gastfreundschaft und Hilfe erfahren hat, gibt diese nun an mich zurück. Sie lädt mich ein bei sich zu wohnen, gibt mir einen Schlüssel für die Tür, wiederholt mehrmals ich soll so lange bleiben wie ich möchte, schärft mir ein ihr Essen zu essen anstatt etwas in den überteuerten Supermärkten zu kaufen und gibt mir wertvolle Tipps für die Umgebung.

Ich entschließe mich Tagestouren zu machen anstatt einen schweren Rucksack mit Essen und Zelt zu schleppen. Denn zelten darf man nur an bestimmten Plätzen im Nationalpark und zur Hauptsaison sind es oft vierzig oder fünfzig Zelte die sich den Platz teilen. Da kann ich gerne darauf verzichten, bin ich doch am liebsten alleine in der Natur. Auch auf den Wanderwegen ist viel los, alle paar Minuten kommen einem Menschen entgegen. Doch es ist trotzdem schön, und verlässt man den Weg einfach mal und läuft hundert Meter in den Wald hinein ist man auch ganz alleine.

Neben den Wanderern, den Kletterern und den Bustouristen gibt es noch die Radler die durch Chaltén kommen. Es ist Zugangstor zur bekannten Carretera Austral, einer der „Traumstraßen für Radfahrer“, welche sich über 1200 Kilometern durch das chilenische Patagonien zieht. Von Chaltén aus muss man zwei Seen mit Booten überqueren und zwischen drin für 20 Kilometer sein Rad über einen Wanderweg schieben und die argentinisch-chilenische Grenze überqueren. Dann kommt man in Villa O´Higgins an, dem Ort am Südende der Carretera Austral. Die Zahl der Radfahrer steigt von Jahr zu Jahr an und so auch die Preise für die Überfahrt. Mittlerweile sind es 90 Euro für beide Boote zusammen. Oft fahren die Boote nicht wegen starkem Wind und man hängt im Nirgendwo fest und die Radler stauen sich. Für dieses Geld kann ich viel Essen kaufen, denke ich mir (naja, in Argentinien doch nicht so viel).

Doch es gibt noch einen Alternativweg nach Villa O´Higgins und der führt über den Paso Rio Mayer. Keine Straße gibt es dort, Flüsse müssen durchquert werden und schwierig soll es sein, doch auch keine Fähren für die man bezahlen muss. Von Chalten sind es rund 500 Kilometer Umweg bis nach Villa O`Higgins und die muss man durch die Pampa auf der argentinischen Seite. Gegen den Wind natürlich.