Argentina

Patagonien: Der andere Weg – Über den Paso Rio Mayer nach Chile

Februar 2018

Es gibt eigentlich immer einen anderen Weg. Und oftmals gehe ich diese anderen Wege, die wenig begangenen, die vergessenen, die schwierigen Pfade. Sei es aus Neugierde, aus Abenteuerlust, aus Geldgründen oder aber nur aus dem Verlangen heraus es anders zu machen als die Mehrheit.

Diese Geschichte handelt von einem anderen Weg nach Chile, zur Ortschaft Villa O´Higgins am Südende der Carretera Austral. Von dem argentinischen Ort El Chalten, dem Trekking und Klettermekka, sind es nur 100 km Luftlinie nach Villa O´Higgins und über diesen normalen Weg kommen fast täglich ein paar Radler. Auch er hat etwas abenteuerliches: Zwei Seen müssen mit Fähren überquert werden und in der Mitte müssen die Räder für einige Kilometer über einen Wanderweg geschoben werden. Was mich abschreckt ist der Preis für die Fährüberfahrten. Mit den Touristenzahlen steigen jährlich auch die Preise der privaten Anbieter und dieses Jahr sind es umgerechnet 90 Euro welche man für die beiden Boote zahlen muss.

Zurück in der Pampa

Wie gut dass ich von einem anderen Radler über den Paso Rio Mayer höre, der andere Weg nach Chile. Von Flussüberquerungen ist die Rede, von einem Gebiet zwischen den Grenzposten ohne jeglichen Weg und natürlich von der Abwesenheit kostspieliger Fähren. Es sind jedoch 500 zusätzliche Kilometer bis nach Villa O`Higgins und ich muss zurück in die windige Pampa, zurück auf die Ruta 40. Die erste Etappe von 300 km führt in die nächste argentinische Stadt, Gobernador Gregores, wo ich meine letzten argentinischen Pesos für Essen eintauschen werde. Von Chalten geht es zurück nach Osten und das bedeutet Rückenwind. Der Übergang von der idyllischen Bergwelt zur kargen Pampa ist beinahe nahtlos, und abends, nach 120 km (Rückenwind!), erreiche ich das Örtchen Tres Lagos. Hier ist es immer windig und die Bewohner ziehen sich in ihre Häuser zurück, die Straßen sind leergefegt. Ich finde einen geschützten Schlafplatz auf der Tribüne des Rodeoplatzes, eine Einrichtung welche in jedem noch so kleinen Ort zu finden ist.

Am nächsten Morgen stehe ich mit der Sonne auf, bedauere dass die Panaderia, die Bäckerei, noch geschlossen hat, und mache mich auf den Weg. Die Straße macht einen großen Bogen und die Kurve zieht sich über einige Kilometer. Mit jedem Meter dreht der Wind ein wenig mehr bis er schließlich frontal von vorne kommt. Ich schalte geduldig in die kleinen Gänge und trample im Schneckentempo vorwärts. Doch es scheint einer dieser Tage zu sein, wo man beim besten Willen nicht vorwärts kommt. Der Wind nimmt noch an Intensität zu und nach drei Stunden, mittlerweile bin ich zum schieben übergegangen, lehne ich mein Rad erschöpft an die Leitplanke. Ich überdenke meine Optionen. Ich könnte die 10 km nach Tres Lagos zurück radeln, mich in der Bäckerei mit süßen Leckereien eindecken und auf den nächsten Tag hoffen. Oder aber versuchen ein Auto anzuhalten und es vielleicht heute noch bis Gobernador Gregores schaffen. Ich entscheide mich für letzteres, auch wenn ich es nicht zur Gewohnheit werden lassen will.

Viel Verkehr herrscht hier nicht, so zwei bis drei Autos pro Stunde, doch was bleibt mir anderes übrig. Radeln geht auf keinen Fall, selbst laufen ist in diesem Sturm schwierig. Immerhin regnet es nicht. Ich setzte mich neben mein Rad und übe mich in Geduld. Jedes mal wenn sich ein Auto nähert springe ich auf und halte den Daumen raus. Nach zwei Stunden hält ein Wohnmobil an. Super, das ging ja schnell. Ein brasilianisches Pärchen auf großer Südamerika Tour. Ob alles OK sei, ob ich Wasser bräuchte, fragen sie mich. Mitnehmen wollen sie mich nicht, sie hätten keinen Platz. Wirklich? Naja, trotzdem Danke.

Ich warte und warte und denke wie lange wohl die Bäckerei in Tres Lagos aufhaben wird? Die Sonne wandert über den Himmel, der Winds stürmt ununterbrochen und die Schatten werden schon länger, als endlich doch noch ein Auto anhält. Sieben Stunden sind vergangen, sieben Stunden am Straßenrand, doch jetzt habe ich eine Mitfahrgelegenheit bis nach Gobernador Gregores, vorausgesetzt ich bekomme mein Rad und alles Gepäck in das kleine Auto. Liebend gerne demontiere ich beide Laufräder und quetsche sämtliche Taschen ins Auto, der Kofferraum schließt gerade so. Mariana heißt meine Retterin und aus dem Auto heraus sieht die Landschaft so friedlich aus, der Wind nicht mehr zu spüren. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Das wird mir besonders klar als die Teerstraße in groben Schotter übergeht der selbst dem kleinen Auto zu schaffen macht. Auf dem Fahrrad wäre es eine Tortur geworden. Wir passieren zwei Motorradfahrer welche vom Wind umgeworfen wurden und nicht weiter fahren können (oder wollen). Ein paar Stunden später, (auf dem Rad wären es Tage gewesen), kommen wir in Gobernador Gregores an und Mariana hilft mir einen Zeltplatz am Fluss zu finden.

Am nächsten Morgen regnet es. Immerhin kein Sturm, denke ich mir. Ich bleibe im Zelt bis der Regen aufhört, packe zusammen und suche den einzigen Supermarkt im Ort. Dieser ist geschlossen, Siesta nennt sich das. Von eins bis fünf machen viele Geschäfte zu. Für mich gerade ärgerlich, wollte ich doch heute weiterfahren, doch ansonsten natürlich gut. Anstatt dessen radle ich zur Tankstelle, dort gibt es kostenloses Wifi. Fast jeder tankt auf der hier durchkommt, die Distanzen sind groß in Patagonien. Viele Autos sind schlammverschmiert, Leute befreien ihre Reifen von großen Matschbrocken. Der Regen hat den Schotterabschnitt der Ruta 40 in eine dreckige und rutschige Piste verwandelt und für Autos ohne Allradantrieb unpassierbar werden lassen. Was für ein Glück dass ich diese Strecke gestern trocken und sauber hinter mir lassen konnte.

Im Supermarkt kaufe ich Essen für sechs Tage. Reis, Linsen, Haferflocken, Erdnüsse, Kekse, Marmelade, Brot, Dosenthunfisch und etwas von dem teuren Obst und Gemüse. Zwei Tage geht es weiter über die Ruta 40, immer gegen den Wind. Immerhin ist radeln möglich. Ich sehe Nandus und treibe kilometerweit ein Baby Guanaco vor mir her welches nicht über die Zäune springen kann und zu viel Angst hat an mir vorbeizulaufen. Ich finde einen Gummistiefel, zehn Kilometer weiter den anderen und nehme sie mit für die Flussüberquerungen. Dann kommt die Abzweigung zum Paso Mayer. Ich kann es kaum erwarten die Ruta 40 hinter mir zu lassen, ich habe den Wind satt und die Pampa auch. Da ist mir der Regen lieber welcher mich auf der chilenischen Seite erwartet (sage ich jetzt!).

Es ist nachmittags als ich die Kreuzung erreiche wo die Schotterstraße beginnt. Leider führt sie genau nach Westen, direkt in den Wind hinein, und ich entscheide mich, dass ich für heute genug gearbeitet habe. Ich finde einen einigermaßen geschützten Platz hinter dem einzigen Busch weit und breit, gerade groß genug für mein Zelt.

[Tipp für Nachahmer: 3 km nach der Kreuzung mit der Ruta 40 kommt eine Brücke. Vor der Brücke rechts am Fluss, ca. 200 m weit weg, ist ein einzelner Busch der Windschutz bietet. Ansonsten nach der Brücke bei den Betonpfeilern auf der linken Seite gibt es einen windstillen Ort hinter einer Sanddüne. Allerdings musst du ihn dir mit Pedro teilen, welcher dort begraben liegt. Es ist besser wenn du es noch 30 km weiter schaffst. Dort ist ein toller Platz unter Bäumen direkt am Fluss, mit Feuerstelle und Stachelbeerbüschen.]

Ein früher Start

Andere Wege zu gehen bedeutet auch andere Herangehensweisen. Um die Strecke zu schaffen muss ich jeden Tag vorwärtskommen, für Pausentage habe ich nicht genug Essen dabei. Und das bedeutet, alles nach dem Wind auszurichten.

Um drei Uhr nachts klingelt mein Wecker. Es ist stockdunkel und windstill. Um vier Uhr habe ich gefrühstückt und gepackt und schiebe mein Rad zurück zur Straße. Es weht bereits eine leichte Brise, heute scheint der Wind sich auch einen Wecker gestellt zu haben. Um halb fünf ist es schon ein starker Wind gegen den ich anradel, gut eingepackt in meiner Regenjacke, die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen und die Stirnlampe den Weg weisend. Im dunkeln eine gute Fahrspur im Schotter zu finden erweist sich als schwierig und es ist eine recht holprige Angelegenheit. Der Wind tost in meinen Ohren und lässt die Kapuze flattern. Gerade als der Horizont sich so langsam anfängt zu erhellen, drücke ich ein letztes mal den Schalthebel. Rasselnd fällt die Kette aufs kleinste Kettenblatt und damit in den ersten Gang. Der letzte Schritt vor der Kapitulation – und das noch vor Sonnenaufgang. Bevor der Tag überhaupt angefangen hat, scheint es schon vorbei zu sein. Diesmal lockt keine Bäckerei mit ihrem Angebot und auch die Aussichten auf ein Auto sind gering. Bis zum Ende der Piste in 100 km gibt es nichts als ein paar Estancias, bewohnt oder verlassen, dass weiß man nie so genau.

Doch als die Sonne die Wolken rosa färbt und schließlich strahlend und warm hinter mir am Himmel erscheint, scheint der Wind zu ermüden und lässt etwas nach. Gerade soviel dass ich radeln kann und ich weiß es wird ein langer Tag werden in diesem Tempo.

Gegen Mittag kommt mir ein Auto entgegen. Es ist einer dieser typischen Pick-Ups, den die Leute hier auf dem Land fahren. Die Reifen knirschen im Schotter als der Wagen neben mir zum stehen kommt. Das Fenster gleitet runter und zwei Männer mittleren Alters, unverkennbar Brüder, schauen mich an. „Necesitas algun?“ – „Brauchst du etwas?“ Fragen sie und die braunen Augenpaare funkeln freundlich. „Fuerza y mas patiencia, porque el viento!“ „Stärke und mehr Geduld, wegen dem Wind!“ antworte ich und die beiden lachen. Nach Chile sei es noch ein ganzes Stück sagen sie und wünschen mir Glück, bevor sie davonbrausen.

Ein wenig weiter

Ich komme nur langsam vorwärts. Mittags esse ich mein am Morgen vorbereitetes Müsli und schaue auf die Karte. Möglichst weit möchte ich heute kommen, denn die am Horizont erscheinenden Berge mit ihren bewaldeten Hängen versprechen mehr Windschutz. Außerdem alles was ich heute schaffe brauche ich morgen nicht zu radeln.

Neulich habe ich einen Artikel über Shackelton gelesen, den britischen Antarktis Explorer. Eines seiner Mottos war a little bit further, ein wenig weiter. Nicht dass ich dieses kleine Abenteuer mit den Strapazen und der Gefährlichkeit oder gar der Verrücktheit einer Expedition zum Südpol vergleichen möchte, doch die Einstellung im Kopf, die Denkweise welche benötigt wird um sich zu pushen, schwierige Momente durchzustehen und an seine Grenzen zu gehen, die ist die selbe. Für eine Fahrradreise braucht man genau diese Willensstärke. Und auch gelegentlich Spaß an körperlichen Qualen. Ein wenig weiter geht es, eigentlich sogar ein ganzes Stück bis mein Körper mir signalisiert er braucht wieder Nahrung. Zucker am besten und zwar möglichst schnell. Meine Kekse habe ich schon aufgegessen, ich muss also anhalten um etwas zu kochen. Am Horizont kommt eine Regenwolke auf mich zu, ich habe gerade noch genug Zeit um zwischen zwei großen Felsen mein Tarp aufzuspannen. Der Unterschlupf ist gerade groß genug dass ich mich ausstrecken kann und nachdem ich Nudeln mit Tomatensoße gekocht und herunter geschlungen habe, schlafe ich für ein Stündchen.

Die Regenwolke ist weitergezogen und es geht ein wenig weiter. Es wird hügeliger, Bäume tauchen auf und schließlich lasse ich die Pampe hinter mir. Endlich! Bis zur einsetzenden Dunkelheit radle ich und schlage mit den letzten Sonnenstrahlen mein Zelt neben der Straße auf. Müde aber zufrieden krieche ich hinein. 17 Stunden bin ich auf den Beinen gewesen, die meiste Zeit davon auf dem Rad. Wohl einer der längeren Tage dieser Reise, doch ich habe es weit genug geschafft um es am nächsten Tag zur Grenze zu schaffen.

Dies ist Gaucho Land

Die Bezeichnung Pass ist ein wenig irreführend. Es geht nicht viel bergauf sondern eher zwischen den hohen Bergen hindurch. Ohne den Wind wäre es ein Kinderspiel, zumindest bis hierher. Das letzte Stück der Straße führt über das Land der Estancia Entre Rios. Saftige Grasebenen bieten gute Weidegründe, Wildgänse und Kraniche ruhen sich am Ufer des Flusses aus, welcher sich gemächlich durch die Ebene windet. Es regnet ein wenig, doch dann bricht die Sonne durch die Wolken. Ein Gaucho kommt mir auf seinem Pferd entgegen, vor sich her treibend eine Gruppe von Pferden. Geschickt wechselt er die Richtung um sie beisammen zu halten, doch bei meinem Anblick tänzeln sie nervös und versuchen auszubrechen. Was für schöne Tiere Pferde doch sind. Die sanften Augen, das glänzende gesunde Fell und die schwingenden Schweife. Elegant scheinen sie über den Boden zu fliegen. Es ist eine Szene wie aus einem Film, oder eher wie aus einem Märchen. Diese wilden und lebendigen Tiere, scheu zu mir blickend und die Nüstern dampfend, ich kann kaum meine Augen abwenden. Und dann diese Gaucho Gestalt, in Lederstiefeln, derben Arbeiterhosen und Wollpullover. Halstuch um den Hals und diese typische Mütze der Gauchos auf dem Kopf. Das Gesicht braun und von Wind und Wetter gegerbt, Lachfalten um die Augen.

Die Szene ist zu schön für meine Kamera, diese Magie des Augenblickes kann ich nicht einfangen und ich lasse sie in der Lenkertasche. Der Gaucho kommt herüber geritten und schaut mich neugierig an. Ich erzähle ihm wo ich herkomme und wo ich hin will. „Immer gegen den Wind!“ sagt er und schüttelt lachend den Kopf. Er sagt mir es seien noch 14 km bis zum argentinischen Gendarmerieposten und ein Fluss müsse durchquert werden, bevor er den ausgebüxten Pferden hinterher jagt. Ich schaue im hinterher. Irgendwann werde ich mein stählernes Ross gegen ein lebendiges Pferd tauschen, denke ich mir. Aber bis dahin muss ich noch selber in die Pedale treten.

Das Leben auf so einer Estancia muss simpel sein. Es gibt kein Handynetz, keine Stromleitung, der nächste Laden mehrere Autostunden entfernt. Bei Wind und Wetter wird draußen gearbeitet und abends zusammen am Feuer gesessen mit vino tinto und asado. So stelle ich es mir zumindest vor.

Ein Schaf müsste man sein

Der erste Fluss den es zu queren gilt ist breit aber nicht tief. Wenn meine Radtaschen keine Löcher hätten, hätte ich mein Rad einfach durchschieben können. So muss ich alles abladen und mehrmals durch den Fluss waten. Das Wasser ist eiskalt und lässt meine Füße schmerzen und taub werden. Die Gummistiefel habe ich verloren, sie wären sowieso nicht hoch genug gewesen.

Es geht weiter zur Gendarmerie. Eine Hütte im nirgendwo, die argentinische Flagge flattert im Wind. Anstatt sich über den seltenen Besuch (und die Arbeit) zu freuen, sind die Polizisten eher misstrauisch. Der Boss, in Jogginghose und Flip Flops, schaut sich meinen Pass und die Stempel genau an, bevor er in der Hütte verschwindet. Von einem anderen erfahre ich, dass die Besatzung hier jeweils für vier Wochen stationiert ist und es nur selten jemanden abzufertigen gibt. Rund 20 Kilometer sind es bis die Straße in Chile wieder beginnt und dazwischen gibt es eine Fahrspur für Geländewagen, doch die Flüsse seien fast das ganze Jahr so hoch, dass der Weg unpassierbar sei. So ist es nur für die handvoll abenteuerlustiger Radler für die dieser Grenzposten besetzt ist (abgesehen vom Prestige). Wenn das die argentinischen Steuerzahler wüssten. Ich kriege schließlich meinen Ausreisestempel und mit dem Ende der offiziellen Straße fängt das Abenteuer an.

[Tipp für andere Radler: Nach dem Grenzposten nimm die Fahrspur durch das Gatter, anstatt links am Zaun vorbei. Der linke Weg ist weiter und es ist viel leichter sich zu verfahren (spreche aus Erfahrung)]

Es geht durch Weideland und dann in einen Wald hinein. Der Track ist überwachsen aber leicht zu folgen und fahrbar. Dann öffnet sich die Landschaft in ein weites Tal, Chile ist auf der anderen Seite eines Flusslaufes mit vielen Seitenarmen. Die Fahrspur verschwindet in einem deutlich mehr als knietiefen Fluss mit schneller Strömung, doch ich entdecke Reifenspuren von anderen Radlern im Schlamm und folge ihnen den Fluss aufwärts.

[ Folge dem Fluss nach rechts, durchquere die Bäche und spätestens wenn du den großen Rio Carrera erreichst, ist es Zeit diesem Stromaufwärts zu folgen bis zur Pasarela]

Es gibt nämlich eine Brücke, eine pasarela, über den größten Fluss, welche diesen anderen Weg überhaupt erst möglich macht. Allerdings ist es keine Brücke für Menschen oder gar Autos, es ist eine Brücke für Schafe und so sieht sie auch aus. Eine schmale wackelige Hängebrücke spannt sich hoch über den tosenden Fluten des azurblauen Rio Carreras. Das ganze Konstrukt sieht nicht so vertrauenerweckend aus, erst recht nicht wenn man deutsche Sicherheitsmaßstäbe anlegen würde. Die Holzplanken sind verwittert und fehlen teilweise, die Nägel und Drähte verrostet. Die Brücke ist gerade breit genug für ein Schaf, oder eine Person, aber nicht für ein vollbeladenes Rad. Ein weiteres mal lade ich also mein Gepäck ab und verfrachte eine Tasche nach der anderen auf die andere Seite. Es ist jedes Mal eine wackelige Angelegenheit und so ganz wohl fühle ich mich nicht dabei. Zum Schluss bleibt nur noch das Rad übrig und mir nichts anderes übrig als es hoch über meinen Kopf zu heben damit ich nirgendwo hängen bleibe. Es ist ein Balanceakt mit erhobenen Armen über diese wackelige und federnde Brücke zu gelangen und das 18 kg schwere Rad zu halten. In der Mitte werden meine Arme schwer, doch allein der Gedanke daran wie mein Rad aus den Händen rutscht und für immer in den gleichfarbigen blauen Fluten verschwindet, gibt mir Kraft. Wenn es notwendig ist, kann der Körper immer noch ein wenig mehr und Schritt für Schritt näher ich mich der andern Seite.

Geschafft!

Ein Schaf müsste man sein, dann wäre auch der schmale und steile Pfad die Uferböschung herauf leichter zu bewältigen. So muss ich mit aller Kraft mein gut und gerne 60 kg Gefährt hoch drücken und aufpassen dass es mich nicht herunterzieht. Auch das folgende Labyrinth wäre als Schaf einfacher, zumindest einfacher navigierbar. Es sind nur noch wenige Kilometer zum chilenischen Carabinero Posten, doch vor mir breitet sich eine Buschlandschaft aus, durchzogen von unzähligen Trampelpfaden. Die Pfade verlaufen in dichterem Gestrüpp, enden abrupt, oder treffen auf andere Pfade. Oft stehen die Büsche so dicht beieinander dass es kein durchkommen gibt. Zeit auf die Karte zu schauen und mit GPS meine Position zu bestimmen. So weiss ich zumindest in welche Richtung ich muss, denn der auf der Karte verzeichnete Pfad ist nur von theoretischer Natur.

[Tipp für andere Radler: Viel Glück!]

Ich folge auf gut Glück einem Pfad, treffe willkürlich Entscheidungen und arbeite mich Stück für Stück vorwärts. Oft lässt es sich nicht vermeiden das Rad mit großer Kraftanstrengung durch die Büsche zu drücken oder sogar die Taschen abnehmen zu müssen und ein Stück zu tragen bis der Pfad wieder breiter wird. Der Tag neigt sich dem Ende zu, doch ich möchte es noch bis nach Chile schaffen. Mehrmahls kontrolliere ich meine Position auf dem Handy und schaffe es schließlich aus dem Buschlabyrinth heraus – nur um mich in einem Sumpf wiederzufinden. Mein Vorderrad fängt an im Schlamm zu versinken und nur mit großer Kraftanstrengung kann ich es dem Boden entreißen. Schlamm ist wohl am schwierigsten mit einem Rad zu durchqueren, noch schwieriger als Sand, und schnell trete ich den Rückzug an um einen Weg mit festerem Untergrund zu finden. Nach einem weiteren Bachlauf treffe ich auf einen breiteren Pfad und kann sogar wieder radeln bis ein Zaun mir den Weg versperrt. Auf der anderen Seite befindet sich eine Schotterstraße, das muss Chile sein. Es gibt kein Tor und der Zaun ist in gutem Zustand, oben mit Stacheldraht versehen. Der einzige Weg führt drunter her. Tasche für Tasche schiebe ich zwischen zwei auseinandergebogenen Drähten hindurch, dann mein Rad und schließlich mich.

Die Dämmerung ist bereits fortgeschritten als ich den letzten Fluss durchquere, welcher direkt vor dem Gebäude der chilenischen Carabineros fließt. Durch die hellerleuchteten Fenster kann ich den Schein eines Feuers ausmachen und Polizisten in Uniformen. Ein Polizist öffnet die Tür und nimmt ohne mit der Wimper zu zucken angesichts der späten Uhrzeit meinen Pass entgegen. Ich nehme in einem kleinen Büro Platz. Der Schreibtisch ist aufgeräumt, an der Wand das Bild des chilenischen Präsidenten. Ein junger Bursche leistet mir Gesellschaft, die grüne Uniform ordentlich und sauber, glänzende schwarze Stiefel, das Gesicht frisch rasiert und die schwarzen Haare kurz getrimmt. Ganz anders meine Erscheinung: Die Dreadlocks schauen unter der Wollmütze hervor , das halbe Gesicht von einem wilden Bart verdeckt. Rote Regenjacke und Shorts, verschwitzt und verdreckt. Die Waden verkratzt und mit Schlamm verschmiert, die nackten Füße dreckig vom Staub, welcher nach dem durchwaten des letzten Flusses kleben blieb.

Er ist neugierig wo ich herkomme und in meinem einfachen Spanisch erzähle ich warum ich diesen anderen Weg gewählt habe. Dass die Boote für mich teuer sind und ich Herausforderungen mag. Dass ich schon ein paar Jahre mit dem Rad unterwegs bin und es mich glücklich macht. Dass ich mit wenig Geld auskomme und mir nicht vorstellen kann einen festen Job zu haben.

Es ist ersichtlich dass dieser junge Mann einen ganz anderen Weg gewählt hat. Ob es ihm Spaß macht an diesem einsamen Ort die Grenzen seines Landes zu bewachen? Ich bezweifle es. Später erfahre ich dass Polizisten und andere Regierungsangestellte in diesen Regionen doppeltes Gehalt beziehen, was vielleicht für die Langeweile entschädigt.

Der andere Polizist kommt mit meinem Pass zurück, ein Schrank wird aufgeschlossen und der Stempel samt Stempelkissen hervorgeholt. Sorgfältig wird der Pass gestempelt und das Datum von Hand eingetragen. Zum Abschied sagt mir der junge Polizist es gäbe nur zwei Kilometer entfernt ein refugio, eine Schutzhütte, wo ich die Nacht verbringen könnte.

Genau was ich jetzt brauche! Ich kann ein Feuer machen und esse meine letzten Vorräte auf. Schließlich sind es morgen nur noch 50 km nach Villa O`Higgins. Und zwar auf einer Schotterstraße, das sollte in ein paar Stunden zu schaffen sein. So denke ich zumindest – es wird ein wenig anders kommen, doch das ist schon Teil der nächsten Geschichte.

11 Gedanken zu „Patagonien: Der andere Weg – Über den Paso Rio Mayer nach Chile

  1. Hallo Florian
    toller Bericht von der Pampa , Rad und Leben. Echt beeindruckend dein Ringen mit den Elementen. Dreh das Rad der Erkenntnis weiter und erlebe EL Mundo. Nach America wollte ich auch imma mal radeldidadel. Hoffe die vorwiegende Windrichtung ist nicht frontal von Vorn . Gruß aus Hamburg Bernhard von der Donau

  2. Una AVENTURA única y llena de magia!!… que bueno que optaste por cruzar a Chile por senderos poco comunes y llenos de desafíos!, gracias a tus descripciones y super buenas fotografías! puedo conocer mucho mas de lo hermoso de mi país y de nuestra aun “casi” prístina Carretera Austral .. Mucha energía y sigue pedaleando!!
    Gruß aus Puerto Varas Amigo Florian.!! =)

  3. ein Superreisebericht! Ich war im Dezember 2017 am Paso Mayer, damals erzählten mir die Carabinieros, daß die Straße nach Argentinien Ende 2018 fertig sein dürfte, nach deinem Bericht sieht es wohl eher nicht so aus, da fehlt wohl mehr als eine Brücke zu Überqueren der Flüsse. Wenn du nach Puerto Guadal kommen solltest, kannst du dich evtl. zu Stephan Weber durchfragen, er wohnt ca. 10 km östlich, Richtung Chile Chico, am Ende einer Bucht, kannst evtl. dein Zelt bei ihm am Strand aufbauen, sag‘ ihm einen schönen Gruß von Werner, seinem Nachbarn.
    Weiter eine tolle Zeit, die Carretera Austral ist nördlich von Cerro Castillo bis kurz hinter dem Abzweig nach Puerto Cisnes geteert, super gut zu fahren, hinter Puyuhuapi ist die Straße ebenfalls geteert. Frage in Coyhaique nach, ob der gewaltige Erdrutsch bei Santa Lucia schon beseitigt ist, ansonsten müßtest du auf dem Weg nach Norden entweder die Fähre on Raoul Martin Balmaceda nehmen ( westlich von La Junta) oder du mußt
    über Futaleufu nach Argentinien, dabei sparst du natürlich die Kosten für die Fähren.
    Also viel Glück
    Werner

  4. Auf dem Foto der Brückenüberquerung, frontal, du mit Taschen… sieht man deinen Lebensmut direkt und komplett. Ist mir eine Ehre dich so lange schon mental begleiten zu dürfen. Sei umarmt, wenn du das liest.

  5. Hi there!

    You don’t record your tracks on GPS, right? Have your uploaded your KML or GPX tracks online in any web? I have one GPX track already from Davide Travelli (alaska2patagonia.com), but as it’s not a clear path, I assume other cyclist have followed other tracks, thus it’d keep my options open once I’m there, if I had 2 or 3 different tracks…

    Many thanks. Good luck.

    David

  6. Hallo Florian, bin zufällig auf deinen Blog gestoßen und habe ihn mit Interesse gelesen.
    Ich war mit dem Motorrad schon in Patagonien und möchte nochmal von Nord nach Süd durch Patagonien und das solange als möglich auf chilenischer Seite. Den Paso Rio Mayer hab ich schon länger im Visier habe aber noch nicht herausgefunden ob die Grenzquerung mit einem Motorrad möglich ist. Einen Fluss zu queren ist für mich mit dem Bike möglich solange der Fluss nicht tiefer als 50-60cm ist. wie ist deine Einschätzung zu so einem Vorhaben, oder kennst du zufällig jemanden der hier schon mit dem Motorrad oder Pick Up die Grenze passiert hat. Die zweite Möglichkeit wäre für mich die welche du aus Kostengründen nicht gemacht hast, weißt du ist diese Strecke mit einem Motorrad zu bewältigen. Also Offroad mit einer Reiseenduro geht schon einiges auch Singeltrails aber Steinstufen oder solche Brücken wo du das Rad tragen musst sind natürlich nicht mehr machbar. Freue ich auf deine Antwort
    Grüße Manfred

  7. @ Manfred
    Der Grenzübergang ist für Motorräder nicht machbar. Für Auto maximal mit Allrad und auch nur, wenn dir die Polizisten gesagt haben, dass es geht. Meistens ist das Wasser zu tief. Sollte man auch niemals nur mit einem Fahrzeug probieren.
    Alternativ kann ich Entrada Bakker empfehlen. Ist deutlich weiter aber mit dem Motorrad kein Thema. Zudem ist der Nationalpark Patagonia einer der schönsten die ich je gesehen habe. Ich empfehle die Strecke über Lago Posadas. Wunderschön!

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