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BarcoIris – Von einer Bootsreise auf dem Amazonas und anderer Verrücktheiten

Die verpasste Chance

Oktober 2018, Huaraz, Peru

Ich sitze auf dem winzigen Balkon des El Tambo Hostels und schaue auf die Berge der Cordillera Blanca. Heute ist es sonnig, vielleicht sollte ich eine kleine Radtour unternehmen. Die letzten Tage war ich nicht sehr motiviert raus zu gehen. Reisemüde bin ich, müde vom radeln auch. Neben mir ist Juan, den ich vor gut einem Jahr zum ersten mal auf diesem Kontinent getroffen habe. Die letzten Monate waren wir gemeinsam unterwegs. Obwohl er auch ein Fahrrad hat haben wir den Großteil des Landes mit dem Bus durchquert und sind lieber in den Bergen wandern gegangen.

Hey man, heute kommt dieses Mädchen von dem ich dir erzählt habe“, sagt Juan, während wir den ersten Kaffee des Tages trinken.

Dude, sie möchte dieses Boot bauen, auf dem Amazonas. Sie ist verrückt!“ Nun werde ich hellhörig. Ein Boot bauen und damit einen Fluss runterfahren. Das ist doch auch einer meiner Träume. Was für ein Abenteuer.

 

Dann ist sie da: Tinka, lautes Lachen, blonde lange Locken unter einem Zylinderhut, Weste aus Lederstücken, Plunderhosen. Ihre Kleidung eine farbenfrohe Kombination aus selbstgenäht und second hand, barfuss. „Wir bauen ein Boot und rudern damit den Amazonas hinunter. Ganz einfach!“, sagt sie und lacht. „Hast du sowas schonmal gemacht?“, frage ich. „Nein, noch nie. Und du, hast du Lust mitzumachen?“, sie schaut mich fragend an.

Mehr als eine Idee hat sie nicht, doch dafür jede Menge Energie und Vertrauen ins Leben.

Ja, ich wäre gerne dabei, doch meine Pläne sind gerade etwas anders. Ich bin auf der Mission Heimaturlaub in Deutschland. 7 Jahre war ich nicht mehr dagewesen. Es ist an der Zeit. Der Flug ist gebucht und lässt mir keine Zeit für dieses Bootsabenteuer. Zumindest jetzt nicht!

 

Träumen ist Teil des Lebens. Und leben Teil des Traums

Ein halbes Jahr später, April 2019 World Rainbow Gathering in den Bergen von Santa Marta, Kolumbien

Zurück in Südamerika. Die drei Monate in Deutschland waren nicht gerade einfach. Schwamm drüber, andere Geschichte.

Hier in Kolumbien treffe ich Tinka wieder. Genauer gesagt auf dem World Rainbow Gathering. Was das genau ist? Darüber sollte ein eigener Artikel geschrieben werden, doch ich probiere eine kurze Beschreibung in Stichworten. Rainbow ist eine weltweite Bewegung. Menschen aus aller Welt. Jeder kann kommen. Eine Selbstorganisierte Gemeinschaft. Ohne Führer, ohne Hierarchien. Konsensentscheidungen. In der Natur. Respekt und Liebe als Grundlagen allen handelns. Keine Regeln aber Richtlinien: Kein Alkohol, keine Drogen, kein Fleisch, keine Elektronikgeräte, kein Handel gegen Geld. Hippis, Freidenker, Philosophen, Reisende, Artisten, Heiler. Menschen die ihr Leben selber in die Hand nehmen wollen. Love and Peace. Eine gelebte Utopie.

In zahlreichen Ländern finden jährlich nationale Treffen statt, es gibt ein europäisches Treffen und auch ein Welt Treffen, welches dieses Jahr in Kolumbien ist.

Hier in den Bergen von Santa Marta sitze ich mit 50 anderen Menschen auf einer Wiese im Kreis und lausche Tinkas Geschichte. Wie sie in Peru mit zwei anderen Mädels und einem lokalen Bootsbauer ein elf Meter langes Ruderboot gebaut hat. Wie dieses Boot in den letzten Monaten über 1000 Kilometer den Ucayali Fluss hinabgereist ist. Mit Rudern und einer Crew von sechs Reisenden. Wie es Tinka nicht nur um Abenteuer geht, es geht um Verbindung, um Austausch mit den Menschen unterwegs. Es geht um Musik, Inspiration und Kunst. Und um ökologische Projekte mit Kindern, Schulen, und ganzen Dorfgemeinschaften. Und ihr Traum ist gewachsen. Sie möchte mehr Boote bauen, eine ganze Bootskaravane starten, und jeder hier in dieser Runde ist eingeladen.

Tinka

Ein Redestock wird herumgereicht und es wird klar, dass fast jeder hier schon einmal ähnliche Gedanken hatte. Eine Flussreise. Mit einem Kanu, oder Floss oder größerem Boot. Nicht nur reisen um des Reisens willen, sondern Projekte und Austausch mit den Lokals machen. Etwas mitbringen und zurückgeben.

Einige Fragen kommen auf. Unsicherheiten. Wie ist das mit dem Geld? Und der Sicherheit? Gibt es da nicht Piraten? Und wer kann schon ein Boot selber bauen?

Doch dies ist nicht der Zeitpunkt für solche Details. Tinka versichert, für jedes Problem gäbe es eine Lösung. Ein Treffpunkt wird festgelegt. Leticia im Amazonas. Am Dreiländereck Kolumbien, Peru, Brasilien. In ungefähr einem Monat. Wer dort sein wird, wird Teil des Projekts, dort wird der Traum erschaffen werden.

Tinkas Boot, die Yacusachawayra, liegt noch in Iquitos und soll von dort mit neuer Crew die ca. 700 km bis nach Leticia paddeln und dort mit den anderen zusammen stoßen.

Die Yakusachawayra

Ich werde mit an Bord sein, dies ist meine zweite Chance. Auch der Rest der neuen Crew findet sich hier zusammen. Ich lerne zwei von ihnen kennen. Da ist Robin, lange blonde dreadlocks, genau wie Tinka und ich in Deutschland geboren. Er ist schon eine Weile in Südamerika. Robin liebt die Berge und ist leidenschaftlicher Kletterer und Slackliner. Wir tauschen unsere Reiseerlebnisse aus, stellen fest dass wir an den selben Orten waren, und verstehen uns von Anfang an gut.

Dann ist da noch Aurelio. Französisch ist seine Muttersprache. 21 Jahre jung, aber irgendwie auch schon alt und erfahren. Er ist einer dieser Typen mit scheinbar unendlichen Energiereserven und einer sehr hohen Frustrationsschwelle. Wenn etwas erledigt werden muss, Aurelio macht es. Sind es zwei Sachen gleichzeitig, er macht auch das. An Motivation mangelt es ihm nicht und auch wenn andere Menschen um ihn herum nicht so viel Energie in das Projekt stecken wie er, stört ihn das nicht. Frustration lenke nur vom eigentlichen Ziel ab, sagt er, es sei vergeudete Zeit.

Robin und Aurelio

Ich bin froh dass die beiden auch dabei sind.

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren

Mai 2019, Nauta am Amazonas, Peru

 

Die letzten Tage waren stressig. Doch jetzt ist alles fertig. Morgen soll es losgehen. Die Yacusachawayra wird mit ihrer Crew ablegen und wir werden die Reise beginnen. Nur 10 Kilometer stromabwärts von hier wird der Maranon Fluss in den Ucayali fließen und die offizielle Bezeichnung Amazonas bekommen.

Seit gut einer Woche bin ich hier vor Ort, habe das Boot kennengelernt, repariert, umgebaut, den Fluss beobachtet, die Boote die vorbeifahren, Baumstämme und Pflanzenteile die vorbeitreiben. Die anderen sind auch alle da, wir sind jetzt alle hier versammelt. Tinka, Robin, Aurelio und Ich.

Dabei ist noch Anna. Anfang zwanzig, doch sie hat schon einiges erlebt. Früh von zu Hause ausgezogen, reisen gegange, in der Ukraine sieht sie keine Zukunft, sagt sie. Viel lieber möchte sie die Welt sehen. Das geht auch mit wenig Geld. Straßenmusik ist ihre Einnahmequelle, mit einem Didgeridoo erregt sie in vielen Teilen der Welt aufsehen und Gehör. Anna hat schon auf Booten gearbeitet. Sie ist über den Atlantik gesegelt und in der Karibik. Ein Ruderboot ist der nächste Schritt.

Miles ist ebenso bootserfahren. Als white water rafting guide wird der gemächliche Amazonas ihm wohl eher langweilig vorkommen. Angst vor dem Wasser hat er zumindest nicht, war kentern in seinem alten Job in den Staaten wohl etwas völlig normales.

Eher zufällig landet auch der zweite Robin, zwecks Unterscheidung Käptn Robin genannt, bei der Truppe. Er ist zum zweiten Mal im Amazonas und hatte in Iquitos auf eigene Faust eine Müllsäuberungsaktion im ärmeren Stadtteil Belem gestartet. Mit eigens erspartem Geld und einem lokalen Freund, kaufte er zwei Boote und motivierte die Bevölkerung zu Aktionstagen. Tonnenweise Müll sammelten sie aus dem Wasser und übten so auch Druck auf die lokale Regierung aus, etwas gegen das Müllproblem zu unternehmen. Robin hat sein eigenes Boot welches er mit einem Dach versehen hat und für die Reise umgebaut hat.

Und schließlich ich. Ein Langzeitreisender des radelns müde, ein lonely wolf der aber doch immer wieder die Gruppenexperience sucht.

 

Dies ist kein Ausflug, es ist eine Expedition. Wir haben genug Lebensmittel an Bord für einige Wochen. Fast 100 Kilo sind zusammengekommen. Hauptsächlich Reis, Nudeln, Linsen, Bohnen, Haferflocken. Dazu Erdnüsse, Farinha, Panela.Verpackt in wasserdichten Eimern. Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Kartoffeln, Möhren. Bananen. Früchte wollen wir in den Dörfern aufstocken.

Ein großer Karton Tokai Mückenspiralen, Angelhaken, Kerzen, Nägel, Hammer, Werkzeuge,Schwimmwesten, Mancheten, Seile.

Es gibt Küchenutensilien, Hängematten und Moskitonetze, eine Medikamentenbox mit chemischen und natürlichen Medizinen. Copaiba Öl, sangre de dragon, Drachenblut, der Saft eines Baumes welcher sich gut eignet um Wunden zu verschließen. Auch andere pflanzliche Medizin ist dabei. Rape, Koka Blätter, Mambe, Mapachus, die starken Zigaretten aus dem schwarzen Urwaldtabak.

Solarpanel, Kameras, eine Papierkarte.Wir haben vier Ruder, ein Ersatzruder, und eines zum steuern. Und einen Benzinmotor, für Notfälle.

Das Boot ist voll beladen. Unsere persönlichen Habseligkeiten sind unter der Plattform verstaut und werden hoffentlich trocken bleiben. Das letzte Foto wird gemacht um Abschied von Angela zu nehmen, welche uns freundlicherweise in ihrem Haus direkt am Fluss beherbergt hatte.

 

Ein stürmischer Anfang

Und schließlich legen wir ab. Die Strömung erfasst das Boot, es gibt kein zurück mehr. Käptn Robin ist dicht hinter uns in seinem kleineren Boot Saskia. Miles begleitet ihn am ersten Tag, denn Robin war genau wie wir noch nie alleine auf so einem großen Fluss. Seinen Motor hat er erst gestern zum ersten mal ausprobiert und noch die letzten Löcher im Boot abgedichtet.

Wir rudern etwas in die Mitte. Die Geräusche vom Ufer verstummen. Keine Motortaxis, keine schreienden Kinder, gackernde Hühner. Die Ruhe umgibt einen und der Horizont teilt sich zwischen Fluss und Himmel auf, in den Augenwinkeln ein grüner Uferstreifen in der Ferne. Gemächlich treiben wir dahin. Durchatmen. Der Stress der letzten Tage fällt von uns ab. Alle Missionen sind erledigt, jetzt beginnt der spaßige Teil.

Wir sind alle noch nicht so vertraut mit dem Fluss. Etwas unsicher. Nur vorsichtig war ich einmal vom Ufer aus reingewatet zum schwimmen. Und schnell wieder raus. Wasser war noch nie so mein Element. Braune Brühe, undurchdringbar mit Blicken und lauwarm. Und das ganze Getier darin, Piranhas, Schlangen, und Krokodile soll es hier geben. Das erste Krokodil war mir auf dem Fischmarkt in Nauta begegnet, mit abgeschlagenen Kopf und aufgeschlitzem Körper, das Fleisch wird hier als Delikatese verkauft. Dann haben mir Leute auch von dem candiru Fisch erzählt. Der Legende nach fällt der Fisch Menschen an welche ins Wasser pinkeln, er soll auch die Eigenschaft haben den Urinstrahl eines ins Wasser pinkelnden Mannes hinaufzuspringen und in die Harnröhre einzudringen. Mit Widerhaken hakt er sich dann dort ein. Hört sich fies an. Ich habe gegoggelt. Es gibt nur einen klar dokumentierten Fall. Und jede Menge Geschichten der locals.

Es ist heiß. Die tropische Sonne brennt ohne Gnade vom Himmel. Aurelius zieht sich die Kleider vom Leib. Mit kurzem Zögern spingt er in den Fluss. Ich denke nicht lange nach. Herunter mit den Kleidern und hinterher.Nass, und sogar erfrischend. Mitten im Amazonas. Nackt. Autsch, da hat doch was gebissen. Ganz so sicher fühle ich mich noch nicht. Doch es sind nur kleine Fische die einen eher liebevoll anknabern.

Friedlich ist es, wir grinsen uns an und sind guter Laune.

Was für ein Tag! Doch am Horizont ziehen sich die Wolken zusammen. Schnell brauen sich hier die Stürme zusammen, schnell ziehen sie aber auch wieder vorbei. Es bedeutet Abkühlung. Aber auch Gefahr wenn man Tinka glauben schenkt. Im Blick haben muss man das. Keine Zehn Minuten später hat der Himmel sich bedrohlich verfinstert. Der Wind bläst kräftig flussaufwärts und bremst uns aus. Die ersten Regentropfen fallen langsam und schwer. Käptn Robins Boot hat durch paddeln zu uns aufgeschlossen. Tinka schlägt vor den Motor zu starten und schnell ans Ufer zu gehen. Sie ist die einzige aus der Gruppe die schon auf dem Fluss und in solchem Wetter unterwegs war. Miles im anderen Boot zuckt mit den Schultern und lacht. „Warum denn? Ist doch nur ein wenig Regen.“ Auch ich bin unbesorger. Wie groß können schon die Wellen sein auf einem Fluss. Und wir sitzen ja auch nicht in einem kleinen Kanu sondern in einem zwölf Meter langem Boot. Nass werden wir halt, aber was soll schon gross passieren. Zumindest rede ich mir das ein. Irgendwo ist da auch Angst, ein Instinkt. Zu kentern. Alles zu verlieren. Sich mitten im Fluss zu befinden. Schwimmen kann ich ja.

Tinka startet den Motor und hält aufs Ufer zu. Wir waren so ziemlich in der Mitte des hier bestimmt zwei km breiten Stroms. Das Wetter hat sich weiter verschlechtert, weiße Schaumkronen zeigen die Wellen an und und der Wind kann schon eher als Sturm bezeichnet werden. Der Regen kommt plötzlich. Wie eine graue Wand und mit einem Rauschen zieht er heran. In Sekunden sind wir komplett durchnässt und die Sicht verschlechtert sich weiter. Tinka hat die Augen zusammengekniffen und das Gesicht angespannt.

Der Motor dröhnt über den Geräuschen des Regens und das klatschen der Wellen ans Boot. Gerufe Worte werden vom Wind weggetragen. Alle sind angespannt und starren konzentriert nach vorne. Endlich kommt das Ufer in Sicht, eine kleine Böschung und dann direkt mit Gestrüpp und Bäumen bewachsen. Nicht der beste Ort zum anlegen. Doch wir finden eine Gelegenheit das Boot zu vertäuen und ziehen das Regencover hoch. Geschafft. Doch was ist mit dem anderen Boot Saskia? Wo sind Robin und Miles abgeblieben? Sie waren eben noch in Sichtweite, auch auf das Ufer zusteuernd, nur etwas mehr flussabwärt zielend. Egal. Jetzt könne wir eh nichts machen. Wir hocken zusammen im Boot. Zusammengekauert auf der Plattform wodrüber sich das Schilfdach wie eine Höhle wölbt und es zu fünft schon etwas eng wird. Es schaukelt ganz schön. Manchmal schwappt sogar tatsächlich etwas Wasser hinein. Auch das Gewitter ist mittlerweile angekommen und zuckende Blitze und Donnergrollen machen die Untergangsstimmung perfekt.

 

So schnell wie es gekommen ist, ist es auch wieder vorbei. Es regnet nur noch leicht als wir ablegen und jetzt doch etwas in Sorge nach dem anderen Boot Ausschau halten. Wir halten uns in Ufernähe doch niemand is zu sehen. Bis wir plötzlich die Rufe hören und schnell zwei Menschen winkend am Ufer sehen. Nur sehr schwer in dem Gestrüpp auszumachen. Doch vom Boot keine Spur. Wir starten hektisch den Motor und halten drauf zu. Auch als wir näher kommen taucht kein Boot auf. Doch, da ragt etwas aus dem Wasser, der Kiel von Saskia. Sie haben das Boot noch. Wenn auch überkopf und unterwasser. Miles steht klitschnass und schlammverschmiert am Ufer, am Oberkörper trägt er einen Reissack in welchen er drei Löcher für Arme und Kopf geschnitten hat. Als Mückenschutz wie er später erklären wird, denn mit Anbruch der Dämmerung startet wie gewöhnlich die Moskitowelle. Käptn Robin steht hüfttief im Wasser. Dann taucht er ab und seine roten Haare verschwinden im aufgewühlten Wasser. Als er wieder auftaucht, hat er seinen komplett durchnässten Rucksack in der Hand und grinst uns an. Alles gut gegangen.

Die beiden werden später erzählen, sie waren auf einem Kurs etwas mehr flussabwärts und der plötzlich einsetzende Regen mit den Wellen hatte sie überrumpelt. Saskia ist nur gute fünf Meter lang und lange nicht so stabil wie die wuchtige Yasawa. Bei dem Versuch einen U-Turn zu machen um flussaufwärts zum Landeplatz der Yasawa zu gelangen, schwappte die erste Welle ins Boot, sobald das Boot seitlich zur Strömung lag. Dann die zweite Welle, seitlich stromaufwärts. Dann war schon klar dass sie sinken werden, sagt Robin. So viel Wasser war in dem kleinen Boot, und eine dritte Welle gab den Rest. Schwimmwesten? Nicht an Bord. Ich erinnere mich wie ich mit Käptn Robin nur zwei Tage vorher in Iquitos gewesen war, um die letzten Einkäufe zu erledigen. Schwimmwesten für Saskia waren auch auf der Liste, doch die einzigen die wir finden konnten waren ziemlich überteuert. Naja, sollte man nicht überbewerten Schwimmwesten, dachten wir uns und zuckten mit den Achseln. Können ja schwimmen.

Zum Glück waren die beiden nah am Ufer und konnten das gekenterte Boot in einen Eddi ziehen. Einen Bereich am Ufer wo die Strömung nicht sehr stark ist oder sogar der Hauptströmung entgegengesetzt.

Die Erleichterung schlägt bei einigen schnell in Ärger und Anschuldigungen um. Was habt ihr euch dabei gedacht? Das ist doch gefährlich. Warum habt ihr nicht auf uns gehört? Sowas darf nicht passieren. Was ist denn eigentlich passiert?

Doch zum streiten ist keine Zeit. Es fängt nämlich an zu dämmern, das Licht verschwindet schnell und wir wollen vermeiden in die Dunkelheit zu geraten. Käptn Robin hat nach einigen Tauchgängen fast alle seine Sachen aus Saskia herausgeholt. Die zwei Eimer waren festgebunden und auch wasserdicht. Die anderen Sachen komplett durchnässt. Wir rufen ein anderes Boot mit zwei locals zu Hilfe und zusammen gelingt es uns Saskia umzudrehen und durch geschicktes Schütteln das meiste des Wassers zu entfernen. Der schwere Motor ist natürlich weg. Einfach aus der Halterung gefallen als das Boot sank und dann umkippte. Wir binden die auferstandene Saskia seitlich an Yasawa und verlassen den Ort des Geschehens. Die Dämmerung ist schon deutlich vorgerückt, die Karte verrät uns ein Dorf in 8 Kilometern, auf der anderen Uferseite. Während Tinka hinten konzentriert den Motor fest im Griff hat, sitzt Anna vorne am Bug, ausgerüstet mit einer großen batteriebetriebenen Lampe.

Viel zu sehen ist nicht in dem Lichtstrahl, doch immerhin können andere Boote so uns sehen.

Durchatmen. Die halbe Stunde Fahrt durch die Dunkelheit fühlt sich viel länger an, bis einige Lichter des Dorfes autauchen und Orientierung bieten. Wir landen zwischen einem dutzend der kleinen Kanus der locals. Genau das wollten wir vermeiden, im Dunkeln anzukommen. Die Menschen haben dann mehr Angst und könnten misstrauischer sein. Tinka hatte in den ersten Wochen der Yasawa auf dem Ucayali Fluss immer wieder von Geschichten gehört die sich die Leute erzählen. Von Weißen die kommen um die Kinder zu rauben, um Organe zu klauen. Oder ihr Land zu rauben. Wer ein wenig die Vergangenheit des Amazonas seit der Kolonialisierung kennt wundern diese Geschichten und das Misstrauen nicht. Mit Brutalität haben die europäischen Eindringlinge alles genommen was sie wollten und die Indianer ausgebeutet und unterdrückt. Zuckerrohr, Kautschuk, Öl, Gold, Holz – alle Reichtümer wurden und werden zu Lasten des Ökosystems und der ursprünglichen Bewohner ausgebeutet.

Tinka und Robin gehen zusammen mit dem Logbuch los um den Cassicki des Dorfes zu suchen. Ihn müssen wir um Erlaubnis fragen ob wir bleiben können und ein Dach über dem Kopf kriegen. In dem Buch sind Empfehlungsschreiben aus anderen Dörfern, welche sich oft als sehr nützlich erwiesen haben um das Eis zu brechen oder das Misstrauen abfallen zu lassen. Der Rest der Gruppe wartet bei den Booten und fängt an das Abendessen vorzubereiten. Hungrig sind wir alle nach diesem Tag.

Wir können bleiben. In der Schule können wir übernachten. Neugierige Blicke aus den geöffneten Hüttentüren verfolgen uns im Licht einiger nackter Glühbirnen die den staubigen Weg durchs Dorf beleuchten. Doch wir müssen uns jetzt erstmal um uns selber kümmern. Essen und dann schlafen. So dramatisch hätte ich mir den ersten Tag bestimmt nicht vorgestellt.

Wie geht es weiter?

Am nächsten Morgen Krisengipfel. Wir machen einen Redekreis im Boot. Der Stock geht reihum und nur wer ihn hat darf reden. Solange er will und was er will. Was genau passiert ist. Wie wir uns fühlen. Was wir schlecht gemacht haben, was wir besser machen können. Wie es jetzt weitergeht.

Wir warten gespannt was Käptn Robin zu sagen hat. Für ihn ist die Sache klar, er lässt sich so schnell nicht kleinkriegen. Er wird alle seine Sachen trocknen und in Iquitos einen neuen Motor kaufen. Und zwei Schwimmwesten.

Käptn Robin ist sich seiner Sache auf jeden Fall sicherer als ich als wir am übernächsten Tage später in sein wackeliges Boot steigen. Ich hatte mich bereit erklärt den zweiten Tag auf dem Fluss auf der Saskia zum paddeln zu sein. Niemand war da so scharf drauf, nachdem was passiert war. Ich nehme auch vorsichtshalber einen wasserdichten Beutel mit für meine Kamera und in Gedanken als Floating Device im Falle des kenterns. Man weiss ja nie was passiert. Und schon geht es los in die Strömung. Immer den Fluss hinab.

Fortsetzung folgt…

 

 

4 Gedanken zu „BarcoIris – Von einer Bootsreise auf dem Amazonas und anderer Verrücktheiten

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