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Caravana Barcoiris: Bei den Indianern

Veröffentlicht

Juni 2019

Die nächsten Tage haben wir den Himmel genau im Blick. Um die Wolkenbildung zu verstehen, die Stürme früh genug zu erkennen. Wir beobachten den Fluss, die verschiedenen Strömungen, die im Wasser treibenden Äste und Pflanzen. Beobachten die Delfine aus dem Wasser springen, und kleine Fische übers Wasser flitzen auf der Flucht vor Raubfischen. Am Ufer tauchen Häuser auf, kleine Siedlungen, dann wieder nur der grüne dichte Wald.

Wir starten möglichst bei Sonnenaufgang und frühstücken auf dem Boot sobald wir in der Strömung sind. Gelegentlich wird gerudert um eine schnellere Strömung zu erreichen oder um den Fluss zu überqueren, doch oft lassen wir uns einfach treiben.Wir haben eine Flusskarte auf der alle Dörfer verzeichnet sind. Tinka hatte sie in der Capitaneria in Pucallpa abfotografiert und ausgedruckt.
In den Nachmittagsstundenhalten wir nach einem Dorf Ausschau. Wir wissen nie was uns erwartet, wie groß das Dorf ist, ob es eine „indigenous community“ ist, ob wir bleiben können.

Viel Neugierde wecken wir in den Dörfern und unterschiedliche Level von Schüchternheit. Die Kinder kommen immer als erstes angelaufen und bestaunen die Neuankömmlinge in ihrem komischen Boot aus sicherer Distanz. Doch auch Erwachsene sind meistens mit dabei und beobachten unsere geruderten Anlegemanöver welche bestimmt oft noch etwas unbeholfen aussehen. Während zwei von uns sich direkt auf dem Weg zum alcalde, dem Dorfvorsteher, machen, bleiben die anderen bei den Booten, oft unter den aufmerksamen Blicken der anwesenden Kinder. Um das Eis zu brechen holt Robin seine Gitarre raus und fängt an zu spielen. Aurelio hat seine Jonglierbälle rausgesucht und wirft sie in die Luft. Die Kinder kommen ein wenig näher. Richtig Angst haben sie nur selten. Zumindest aus dem Fernsehen sollten sie weiße Menschen kennen. Und immerhin ist dies der Amazonas, die Autobahn unter den Flüssen.

Meistens bekommen wir Erlaubnis und einen trockenen Platz zum schlafen. Oft ist noch Zeit etwas Musik zu machen oder sich mit den Dorfbewohnern anzufreunden. Die sind nach manchmal anfänglicher Scheu sehr hilfsbereit, schenken uns ungefragt Essen und bieten ihre Häuser zum kochen an.

Manche Dörfer bestehen aus gerade fünf Familien, andere haben ein paar hundert Bewohner oder sogar tausend. Die Häuser sind aus Holz, meistens auf Stelzen gebaut, denn das Level des Flusses variiert stark im Laufe des Jahres. Die Dächer aus Wellblech haben nahezu überall die Palmblätter abgelöst und eignen sich gut um Regenwasser aufzufangen. Bleibt es einmal lange trocken oder haben die Leute keinen Wassertank, greifen sie auf den Fluss zurück. Strom gibt es in den kleineren Dörfern nur mit Dieselgeneratoren, welche meist abends für einige Stunden angeworfen werden. Um Licht zu haben und für das Satellitenfernsehen.

Die Schule ist oft das einzigste Gebäude aus Ziegelsteinen, finanziert aus einem Regierungsprogramm, genauso wie der Fussballplatz, welcher in keinem Dorf fehlen darf. Fehlen tun dagegen manchmal die Lehrer und die Kinder müssen entweder in das nächste größere Dorf gelangen oder gehen einfach nicht zur Schule.

Unser Angebot in den Schulen etwas zu machen stößt eigentlich immer auf offene Ohren. Für die Kinder ist es eine gelungene Abwechslung und für die Lehrer auch.

Das Plastikmonster kommt zu Besuch

In einem Indianerdorf an einem kleinen Nebenfluss des Amazonas besuchen wir die Schule und bieten dem Direktor unsere Dienste an. Schnell sind ein paar Englischstunden vereinbart, dazu ein Slackline Workshop und Musikprogramm. Und die erste Theateraufführung des Plastikmonsters. Vor rund hundert Schulkindern spielt Aurelio das Plastikmonster, welches sich von Müll ernährt und Luft, Wasser und Erde vergiftet. Mir ist die Rolle des Vorlesers zugefallen und ich erzähle die Geschichte des gierigen Menschen, welcher die Rohstoffe ausbeutet und mit dem Erdöl den Planeten vergiftet. Yaku, Sacha und Wayra, die Schutzgeister des Flusses, des Waldes und des Windes werden von Tinka gespielt und können schließlich das Plastikmonster vom Müll befreien und zeigen ihm wie man den Müll sortiert und recycelt.


Eine einfache Botschaft doch eine notwendige. Denn außerhalb des Geldsystems lebt hier niemand mehr und mit dem Geld kommen die ganzen Produkte, eingepackt in Plastik. Im Dorfladen wird alles nochmal extra in eine Plastiktüte gesteckt. Verpackungsplastik wird dann dort aus der Hand fallen gelassen wo es nicht mehr gebraucht wird. Kekspackungen säumen die Gehwege, leere Flaschen und Plastiktüten, Waschpulvertüten werden direkt am Flusslauf entsorgt. Für die Müllentsorgung gibt es hier genau drei Möglichkeiten: Verbrennen, Vergraben, oder in den Fluss werfen. Was wohl am wenigsten schädlich wäre? Den Müll von vorne herein zu vermeiden.

Und der kommt von außerhalb. Mit den Lanchas, den Frachtschiffen die die Produkte liefern und den gesamten Amazonas versorgen. Die dann von den Städten weiter verteilt werden in die Dörfer.Es gibt immer zumindest einen Laden wo es Grundnahrungsmittel gibt wie Reis und Nudeln. Zucker, Mehl und Kekse findet man immer. Soft Drinks und Wasser in Plastikflaschen. Shampoo und Waschmittel auch. Gekauft wird auch Benzin, für den Bootsmotor und den Stromgenerator für Satelliten Fernsehen und Smartphone.

Doch trotzdem sind die Menschen hier vergleichsweise Niedrigkonsumierer. Das meiste Essen wird auf gerodeten Waldlichtungen angebaut. Yuca, Mais, Bananen. Dazu Fisch aus dem Fluss und alles was sich im Wald bewegt und mit dem Gewehr erlegt werden kann.

Nach dem Theaterstück startet die Müllsammelaktion. Käptn Robin trägt einen Plastiksack und ist umringt von Kindern welche fleißig durch das Dorf ziehen und Plastikmüll einsammeln. Dann kommt der zweite Teil. Tinka steht auf dem Fussballfeld welches zugleich Dorfplatz ist, und demonstriert die Konstruktion eines ecoladrillos, eines Öko-Ziegelstein. Der Müll wird in Plastikflaschen gestopft und unter Zuhilfenahme eines Stockes zusammen gepresst. So entstehen stabile Müllpakete welche wie Ziegelsteine als Baumaterialien eingesetzt werden können. Oder um ein Beet oder junge Pflanzen einzurahmen.

Es ist nur eine Notlösung. Wenn der Müll schon da ist, ihn wenigstens zusammenzuhalten und für etwas zu nutzen. Besser als verbrennen oder in den Fluss werfen.Doch wie hoch ist die Warscheinlichkeit dass die Dörfer die einmal demonstrierte Praxis fortführen? Und dann die ecoladrillos auch verwenden? Und nicht nur die Erinnerung behalten an die verrückten schuhlosen Gringos mit ihrer Idee vom Plastikflaschen Haus?

Das Fest

Gedämpfte Stimmen und Feuerschein dringen aus der Maloka in die Nacht. Eine Maloka ist das traditionelle Haus der Indianer. Früher lebten alle Familien eines Stammes zusammen. Jede Familie hatte ihren privaten Bereich am äußeren Rand, wärend der große Platz in der Mitte gemeinschaftlich genutzt wurde. Hier versammeln sich heute die Männer des Dorfes para mambear, um Mambe zu nehmen und zu reden. Mambe, das grüne Pulver aus gerösteten und zu Staub zerstoßenen Koka Blättern, vermischt mit der Asche einer bestimmten Pflanze, wird traditionell seit langer Zeit hergestellt und konsumiert. Um den anregenden Effekt zu verstärken schmieren sich die Männer Ambil, eine Tabakpaste, in die Backe und lassen einen Löffel Mambe folgen. Dann wird geredet und auch oft undeutlich genuschelt, wegen der vollgestopften Backe. Hier wird Huitoto gesprochen, die Stammessprache der heute nur noch 10000 verbleibenden Huitotos. Es geht um das Fest in der anderen Maloka. Denn in diesem Dorf leben auch noch die Boras, ein anderer Stamm. Das Dorf ist geteilt, jeder Stamm bleibt eher unter sich. Und auch wenn es keine Konflikte zu geben scheint, soll das Fest die Beziehungen verbessern und in der Maloka der Boras stattfinden. Dort bereiten seit Tagen die Bora Frauen Masato zu, einen geleeartigen Trank aus Yucca, sowie casabe, Yuccamehlfladen vor. Diese sollen während des Festes gegen die Geschenke der Huitotos ausgetauscht werden. In deren Maloka bereiten die Männer Mambe zu und üben ihre fast vergessen Lieder und Tänze.

Kinder bemalen sich mit Huito, einer pflanzlichen Farbe die beim Auftragen noch durchsichtig ist und erst einige Stunden nach Hautkontakt diese dunkellila bis schwarz färbt. Auch wir werden am Tag des Festes so bemalt bevor wir mit den Huitotos durch das Dorf zu der Maloka der Boras ziehen. Die Männer haben Stöcke dabei an denen ihre Gaben hängen. Fische, ein kleiner Affe, ein totes Faultier, Papageien, eine Dschungelratte. An einem Stock hängen daumengroße fette Maden, welche sich verzweifelt ihrem Schicksal gegessen zu werden zu entwinden versuchen. Die jungen Männer reichen eine Flasche mit Masato herum und stoßen ein paar Laute Schreie aus bevor sie die Maloka der Boras betreten.

Dort sind rund 200 Menschen versammelt. Die Huitotos legen ihre Geschenke auf Bananenblättern ab bevor Begrüßungen ausgetauscht und lange Reden abgehalten werden. Dann ist es schließlich an der Zeit für die Tänze. Die Huitoto Männer stellen sich nebeneinander in eine Reihe und machen kleine Schritte nach vorne, wobei sie den Takt mit Stöcken auf den Boden klopfen. Dazu rhytmische Gesänge. Die Frauen folgen den Männern. Es gibt verschiedene Lieder und Tanzformationen. Nach einer Weile sind die Boras mit Tanzen dran während die anderen die Pause nutzen um Mambe zu nehmen oder auch mal einen Schluck aus der Schnapsflasche. Dann verteilen die Boras ihre Yuccafladen für die Gäste. Auch wir bekommen einen gereicht, denn Käptn Robin hatte eine große Stange Mapachu, Tabak, als Geschenk mitgebracht.


Das Tanzen geht weiter bis tief in die Nacht. Immer abwechselnd tanzen die beiden Gruppen. Bis die Huitotos nicht mehr aufhören zu tanzen. Irgendwann reicht es den Boras, worauf sie den tanzenden Huitotos ihre Stöcke wegnehmen und diese sich zurückziehen.

Für uns ist es nach einer Woche an der Zeit weiter zu reisen. Gut die Hälfte des langen Weges nach Leticia liegt noch vor uns und ein Teil davon ist als Piratenzone deklariert. Selbst die größeren Passagier- und Frachtschiffe, haben zur Sicherheit Waffen dabei und feuern auch schonmal Warnschüsse ab. Aber könnten wir wirklich Ziel von Piraten werden? Oder haben die Menschen hier einfach nur zu viel Angst? Wir werden es herausfinden.

Fortsetzung folgt

 

3 Gedanken zu „Caravana Barcoiris: Bei den Indianern

  1. Florian!
    Du elender Kiffer, seit 4 Monaten hören wir nix mehr von dir. Wo steckst du eigentlich? Hat dich ein Corona-Käfer gebissen?

  2. hallo Florian,
    herzlichen Dank für deine wunderschöne Reportagen !
    Was ist aus der Caravana Barcoiris geworden? Ich hoffe, daß die Fahrt gut geendet ist !

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