März 2019
Zurück aus dem Urlaub. Zurück bei meinem Fahrrad. Zurück in meinem Reiseleben. Nicht immer einfach war es gewesen in Deutschland. In der alten Heimat.
Zurück fühle ich mich direkt freier, entspannter. Keiner hat Erwartungen an mich. Keiner kennt mich hier. Bis auf Juan und Fanghorn, zwei Freunde, die ich gleich am zweiten Tag in Quito treffe. Endlich jemand der mich versteht. Auch die beiden haben eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie ich. Sind vor langer Zeit aufgebrochen um die Welt zu entdecken. Sind irgendwann nach Hause zurückgekehrt. Und haben festgestellt dass es kein zurück mehr gibt. Dass der Entfaltungsprozess eines Reisenden sich nicht aufhalten lässt und oft nur schwer von den daheimgebliebenen nachvollzogen werden kann. Auch sie sind wieder losgezogen. Auch sie haben ein anderes Verständnis von zu Hause sein. Wir frühstücken auf der sonnigen Dachterrasse des Hostels und schauen über die Stadt.
Am nächsten Tag steige ich mit Fanghorn auf den Cumbre Ruco Pichincha der 4692 Meter über der Stadt ragt. Diese Höhe bin ich nicht mehr gewohnt und bin ein wenig ausser Atem. Eigentlich sollte es ein Akklimatisierungstrip für den Chimborazo Vulkan werden, welchen wir mit Fanghorns Bruder, einem erfahrenen Bergguide, die nächsten Tage besteigen wollen. Es ist eine einmalige Gelegenheit, denn normalerweise muss man viel Geld für einen Guide und die Agentur bezahlen. Wir müssten nur die nötigste Ausrüstung leihen und könnten schon bald nicht auf dem höchsten Berg der Erde stehen, aber an dem Punkt sein, welcher am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernt ist.
Doch ich habe so meine Zeifel über meine Fitness nach drei Monaten ohne viel körperliche Betätigung.
Jeder der schon mal einen einigermaßen hohen Berg bestiegen hat, weiss welche Anstrengung es ist und dass man sich immer an seine Grenzen und darüber hinaus pushen muss. Das ist mir gerade zu viel Anstrengung. Auch meine Erfahrungen mitten in der Nacht mit Crampons und Eisaxt bewaffnet einen eisüberzogenen Berggipfel zu erklimmen sind nicht vorhanden.
Ich entscheide mich also fürs Fahrrad. Richtung Kolumbien soll es gehen, nur rund 200 Kilometer sind es bis zur Grenze. Flache Strecken gibt es hier sowieso nicht, entweder es geht bergauf – oder bergab. Busse, Lastwagen, Autos rauschen an mir vorbei doch der Verkehr kann meine Freude nicht trüben.
Es fühlt sich einfach so gut an wieder unterwegs zu sein. Freiheit verspüre ich auf dem Rad. Zufriedenheit. Und auch Erschöpfung, denn meine aus der Übung gekommenen Beine signalisieren mir bereits nach dem ersten 30 Kilometern dass ich es langsam angehen muss. Bis zum Äquator schaffe ich es noch und überquere die imaginäre rote Linie auf die Nordhalbkugel, bevor ich einen kleinen Campingplatz am Fluss finde.
Am nächsten Morgen kann ich auf kleineren Nebenstraßen dem Verkehr ausweichen und die Landschaft geniessen. Viele Felder, viel grün, es könnte auch irgendwo in Europa sein.
Ich folge dem Tipp eines anderen Radlers und fahre eine Strecke, welche mich durch das Naturreservat El Angel führen soll. Von einer fantastischen Moorlandschaft hatte er erzählt, und von Pflanzen welche Wasser durch die Blätter direkt aus den Wolken aufnehmen und durch die Wurzeln in den Boden leiten. Das kalte und regnerische Klima in dieser Region hat zu einer einzigartigen Pflanzenwelt geführt, welche sich so nur hier und im südlichen Kolumbien finden lässt.
Nicht erzählt hatte er mir von dem 50 Kilometer währendem Anstieg um den Eingang des Reservats zu erreichen. Oder von den folgenden 15 Kilometern groben Kopfsteinpflaster. Oder ich hatte das irgendwie überhört. Erschöpft zelte ich am Eingang des Reservats und werde am nächsten Tag für die Anstrengung belohnt.
Ganz plötzlich ändert sich die Landschaft, mehr und mehr von den erwähnten Frailejones Pflanzen tauchen auf, dessen Blätter flauschig weich sind und dessen Stämme sich bis an den Horizont erstrecken. So etwas habe ich wirklich noch nicht gesehen und ehrlich gesagt auch nicht erwartet.
Im Park gibt es einen kleinen Rundweg an einen See, bevor die Straße für normale Autos unpassierbar wird und ich ganz alleine bin. Dies sind die Strecken die ich mag, die Momente welche ich am meisten genieße. Welche die ganzen Anstrengungen und die Abschnitte mit dem nervigen Verkehr wieder wettmachen.
Abends zelte ich zwischen den tausenden von Frailejones Pflanzen. Es wird dunkel und ich bin allein. Doch da blinkt doch was. Ein Glühkäfer gesellt sich zu mir, angezogen vom roten Licht meiner Taschenlampe.
Am nächsten Tag geht es hauptsächlich bergab – Kolumbien ist nicht mehr weit.